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2. „Education for Victory“
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US-Regierung für die Nachkriegszeit , trotz kurzfristiger Hinzuziehung ziviler Experten ,
nicht aufzufüllen imstande waren. Das primär auf Negativmaßnahmen ausgelegte Pla-
nungsdokument JCS 1067 , in dem der Komplex der Reeducation als Nebensache abgehan-
delt wurde , bildete somit nicht nur das einzige offizielle Regulativ für die US-amerikanische
Reorientierung nach Kriegsende , sondern für die Alliierte Nachkriegsplanung insgesamt
–
freilich ohne jede Präzisierung konkreter Zuständigkeiten. Die parallel zum JCS 1067 aus-
gearbeiteten ersten Entwürfe der Handbücher für die Militärverwaltungen in Deutschland
sowie Österreich
– diese sollten eigentlich bis zu „D-Day“ fertiggestellt sein
– mussten eben-
falls revidiert beziehungsweise vom Wortlaut her um Negativ-Formulierungen verschärft
werden.956 Roosevelt selbst hatte das Handbuch für Deutschland im August 1944 kritisiert
–
„this so-called Handbook is pretty bad“
– und die Einziehung aller Kopien gefordert.957
Hinzu kommt , dass
– wie Tent hervorhebt
– das Wirrwarr amerikanischer Regierungs-
stellen und deren ungeregelten Zuständigkeiten und Kompetenzen gegen Kriegsende
letztlich eine politische Leerstelle ( „policy gap“ ) hinterließen , die durch die Potsdamer
Konferenz im Sommer 1945 tendenziell noch verstärkt wurde : „it left the four victors na-
tions each to go its own way with respect to cultural policies in its zone , a fact that later had
great significance for the Americans. State Department concern about American educa-
tional programs grew as the educators’ troubles mounted.“958
Das angesprochene Kompetenzgerangel , die umständlichen und teils verwirrenden Fo-
malabläufe sowie die unterschiedlichen inhaltlichen Herangehensweisen und Positionen
zwischen Militärfachleuten und zivilen Regierungsstellen lassen sich anhand eines Kor-
respondenzverlaufes rund um einen Entwurf der britischen Vertreter innerhalb der Com-
bined Chiefs of Staff exemplarisch darstellen.
Im Wesentlichen handelte es sich dabei um eine von britischer Seite leicht modifizierte
Rohversion des US-Planungsdokuments JCS 1067 , die als Handlungsdirektive für den
SCAEF-Oberkommandierenden beziehungsweise für alle westalliierten US-Oberbefehls-
haber in den Besatzungszonen dienen sollte , etwa in der Form , wie das wenig später im
US-amerikanischen „Handbook Military Goverment Austria“ ausformuliert wurde. Oh-
ne an dieser Stelle auf einzelne Punkte des Papiers näher einzugehen , liegt das eigentlich
956 So bezog sich die Originalversion des Handbuchs für Deutschland im Wortlaut des Eingangsparagraphen
auf die „Befreiung“ und vermied jede Erwähnung des aggressiven deutschen Militarismus. Der Passus
musste überarbeitet werden , und die amerikanischen und britischen Planer , die , wie Ziemke anmerkt , je-
des unnötige „psychological handicap“ auf Seiten der Bevölkerung zu vermeiden trachteten , einigten sich
–
trotz Bedenken seitens der SHAEF-Psychological Warfare Division – schließlich auf die Einstiegsformu-
lierung , deren intendierte , zugleich martialische als auch befriedende Konnotation [ „at once martial and
pacific , forceful and vague“ ] im deutschen Wort „Eroberer“ nicht zum Tragen kam : „We come as conque-
rers , but not as oppressors“. Ziemke , The U. S. Army in the Occupation of Germany 1944–1946 , a. a. O., 88.
957 Roosevelt in einem Memorandum an Henry Stimson vom 26. August 1944. Zit. nach : Ziemke , The U. S.
Army in the Occupation of Germany 1944–1946 , a. a. O., 85.
958 Tent , Mission on the Rhine , a. a. O., 1944 , 10.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741