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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
erteilt , allerdings mit der Einschränkung auf das Fach „Wirtschaftsgeschichte“.1598 Winter ,
dessen fachliche Qualifikation damit außer Frage gestanden sei , habe sich mit dieser vorläu-
figen Einschränkung der Lehrbefugnis auch einverstanden erklärt , jedoch durch öffentliche
Vorwürfe und Volten gegenüber der Fakultät und insbesondere gegen Othmar Spann sowie
durch sein insgesamt unkonziliantes Verhalten dazu beigetragen , dass sein Habilitationsan-
suchen wegen des „sachlich ungerechtfertigten und formell mehr als ungehörigen Verhaltens“
vom Unterrichtsministerium schließlich abgewiesen worden ist.1599 De facto waren Winters
Habilitationsbemühungen
– im genauen Gegenteil zum Wortlaut der vom Dekanat verwen-
deten „Abschrift“
– von Anbeginn durch die deutschnationale , pronazistische Ausrichtung
des Fakultätskollegiums1600 behindert worden. Winter war als glühendem Verfechter einer
österreichischen Eigenständigkeit ein öffentliches Bekenntnis , eine Art Ehrenerklärung zur
„deutschen Kulturgemeinschaft“ und zum „verfassungsmäßigen deutschen Charakter der
Universität“,1601 noch dazu im Organ der österreichischen NSDAP , abverlangt1602 bezie-
einer neuen Habilitationsschrift angekündigt habe. Diese habe er am 5. Jänner 1935 unter dem Titel
„Rudolf IV. von Österreich“ für das Fach Soziologie mit den Nebenfächern „Sozialpolitik und Wirt-
schaftsgeschichte“ eingereicht. Aufgrund des stark historischen Einschlags der Schrift habe die Kom-
mission , die aus Spann , Hold-Ferneck , Hans Mayer , Degenfeld-Schonburg , Heinrich Mitteis und Emil
Goldmann bestand , beschlossen , die Professoren Alfons Dopsch und ( Hans ? ) Hirsch um ein Gutachten
zu ersuchen. Nach deren Vorliegen sowie weiterer Gutachten von Spann und Degenfeld-Schonburg sei
die Kommission dann zu einem positiven Entschluss gekommen.
Diese stark weichgezeichnete Darstellung , deren faktische Grundstruktur zutrifft , verdreht jedoch in
entscheidender Weise die kausalen Zusammenhänge , weil es keineswegs Winters Initiative gewesen
ist , jeweils neue Arbeiten als Bewerbungsgrundlage für seine Habilitierung einzureichen bzw. das Ha-
bilitationsverfahren zu unterbrechen , sondern dies geschah eindeutig aufgrund des Drucks seitens des
Professorenkollegiums. Vgl. Holzbauer , Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ), a. a. O., 163 f.
1598 Vgl. UAW , Personalakt Ernst Karl Winter / 23 , Abschrift Zl. 1 aus 1936 , 3. In demselben Schreiben an
die Fakultät , das dann an die Öffentlichkeit gelangte sei – z. B. im Telegraph vom 4. Dezember 1935 –,
habe Winter indes den Vorwurf der Intoleranz und Minderwertigkeit gegenüber den Kommissionsmit-
gliedern erhoben – insbesondere gegenüber Othmar Spann – und sich damit in einen offenen Konflikt
mit der gesamten rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät gebracht.
1599 Gemäß dem Wortlaut der „Abschrift“ habe das Professorenkollegium beantragt , das Bundesministerium
für Unterricht möge die Berufung des Habilitationswerbers wegen des „sachlich ungerechtfertigten und
formell mehr als ungehörigen Verhaltens nunmehr“ abweisen und „die persönliche Eignung zum Hoch-
schulamte ab( zu )sprechen“. Noch im Juli 1935 sei Winter nahe gelegt worden , seine gegen die Fakultät
und eines seiner Mitglieder gerichteten Vorwürfe „bedingungslos mit dem Ausdrucke des Bedauerns zu-
rückzuziehen“, um die Angelegenheit beizulegen , was Winter allerdings in einem Retourschreiben vom
10. Juli 1935 verweigert habe. UAW , Personalakt Ernst Karl Winter / 23 , Abschrift Zl. 1 aus 1936 , 4.
1600 Winter , Curriculum Vitae , Schreiben an James Riddleberger , a. a. O., 1.
1601 Vgl. Holzbauer , Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ), a. a. O., 165 f.
1602 So hatte Dekan Hold-Ferneck gegenüber Winter 1929 / 30 gemeint : „Solange Sie nicht in der ‚Dötz‘
[ Deutschösterreichische Tageszeitung , Organ der österreichischen NSDAP , der Verfasser ] einen Leit-
artikel für den Anschluß schreiben werden , werden Sie nicht habilitiert werden“. Zit. nach : Holzbauer ,
Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ), a. a. O., 165.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741