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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
1945 dar1819 – eine Kooperation , in die die anderen Besatzungs mächte freilich sogleich
mit einbezogen wurden. Auf amerikanische Initiative wurde , nach einer Besprechung von
Prorektor Meister mit Major Joseph M. Murphy sowie nach folgenden Beratungen mit
Vertretern der amerikanischen und britischen Erziehungs abteilungen , ein „Internationales
Institut der Universität Wien“ mit drei Sektionen geschaffen : einer anglo-amerikanischen ,
einer französischen und einer russischen.1820
Im Statut der Einrichtung , deren Leitungsgremium sich aus dem Rektor der Wiener
Universität sowie aus je einem Bevollmächtigten der vier alliierten Militärregierungen zu-
sammensetzte , wurde die „Pflege enger geistiger Beziehungen zwischen den alliierten Län-
dern und Österreich“1821 als Aufgabe angegeben. De facto reduzierten sich die Aktivitäten
des Institutes allerdings darauf , Studierenden „aus den alliierten Ländern , die ein ordnungs-
gemäßes Studium mit dem Ziele der Anrechnungen der zurückgelegten Semester“1822 absol-
vierten , die Möglichkeit einer Immatrikulierung als ordentliche Hörer zu gewährleisten und
Gastvorträge in den jeweiligen Landes sprachen anzu bieten. Darüber hinaus sollten allen
„Angehörigen der alliierten Militär
regierungen , der alliierten Kommissionen für Österreich
und der Truppen der alliierten Armeen“1823 die Gelegenheit gegeben werden , als Gasthörer
1819 Ein weiteres Beispiel – mit allerdings nicht ganz so deutlichem Bezug zur Universität – ist die Grün-
dung der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft , bei deren Gründungsfestakt am 6. Jänner
1946 , an dem Bundeskanzler Figl und hohe Vertretern der alliierten Mächte teilnahmen , General
Mark Clark in seiner Ansprache formulierte : „Amerika will mithelfen , daß Wien wieder erste Kunst-
und Kulturhauptstadt Europas werde“. Clarks Rede wurde „mit tosendem Beifall“ bedankt , nach-
dem er bekannt gegeben hatte , dass „die Reichskleinodien unter schärfster Bewachung wieder nach
Wien gebracht und dem rechtmäßigem Eigentümer , dem österreichischen Staate , zurückgeben wor-
den sind.“ Zit. nach : Akademische Rundschau. Organ der Öster reichischen Hochschülerschaft. Wochen-
schrift für Wissenschaft , Kultur , Kunst und Wirtschaft ( unter Genehmigungs-Nummer 146 der
Nachrichten kontrolle der Militärregierung veröffentlicht ), 1. Jg., 26. Jänner 1946 , Nr. 11 / 12 , 1. Der
hier gepflegte Kulturaustausch beschränkte sich auf freundlich-ephemere Image- und Kontaktpflege ,
wie aus den Worten des ersten Präsidenten der Gesellschaft , Univ.-Prof. Dr. Otto Kauders , hervor-
geht. Dieser stellte die „amerikanische Seele“ in den Mittelpunkt seiner Ausführungen und wies
darauf hin , dass – entgegen der Annahme der „Europäer im allgemeinen“ – die Bewohner des bis
ins letzte industriali sierten und mechanisierten Erdteils „keine Marionetten , sondern Menschen mit
Fleisch und Blut , mit einer Seele sind. [ … ] Und wer diese Seele kennt , kann Amerika verstehen ,
kann verstehen , warum es gerade auch Österreich solche Sympathie entgegenbringt“, denn „Gast-
freundschaft und Hilfs bereitschaft“ sowie „Empfänglichkeit für alles Gute von außen“ seien sowohl
Amerikanern als auch Öster reichern eigen. Zit. nach : ebd., 1.
1820 Universität Wien. Bericht über den Studienbetrieb an der Wiener Universität vom Sommer-Semester
1945 bis zum Sommer-Semester 1947. Erstattet von Prof. Dr. Ludwig Adamovich , Wien 1947 , 46.
1821 Ebd.
1822 Ebd., 47.
1823 Ebd., 48. Im Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien wurden verstärkt Vorlesungen zur „Orien-
tierung über die Bereiche aus Österreichs Natur , Geschichte und Kultur“ sowie über Geschichte und
Kultur alliierter Länder angeboten. Ebd., 49.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741