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4. „The democratic way of life in Austria“
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ins Gefängnis geworfen worden“1969 wurde mit wüsten Droh rufen beantwortet , wobei
Anwesende den Redner als „Feigling“ und als „Verräter“ beschimpft haben sollen. Im wei-
teren Verlauf sei es zwischen einer kleinen Gruppe kommunistischer Studenten und der
rechts konservativen Mehrheit zu heftigen Wort gefechten gekommen ; dabei hätten die
Kommunisten in Sprechchören „Kultura , Kultura“ skandiert , worauf die Gegenseite mit
Rufen wie „Geht nach Rußland !“1970 geantwortet haben soll. Laut dem Bericht anwesen-
der Beamter der Staatspolizei habe daraufhin „tosender Beifall der Mehrheit der Anwesen-
den“ eingesetzt ; mit Bezug auf Rabofskys Feststellung , dass sein Bruder für „Österreichs
Unabhängigkeit“ sein Leben gelassen hatte , seien Zurufe wie „ ‚Nicht schade um dieses
Schwein. Warum leben Sie noch. Niederknallen‘ u. Ä.“1971 laut geworden. Zu besonderer
Entrüstung habe schließlich der ‚stolze‘ Ausruf eines Studierenden , er sei ein SS-Mann
gewesen , geführt , worauf das Publikum mit lautem Applaus geantwortet habe.1972
Wie die Akademische Rundschau in der Analyse der Zeitungsberichterstattung rückbli-
ckend auf diese Vorfällen feststellte – worauf sich im Übrigen auch ein Bericht der US-
Education Division bezog –, habe sich dieser Vorfall jedoch deutlich anders als in der
Tagespresse kolportiert zugetragen. Bei einer Diskussion darüber , in welcher Form zurück-
gekehrten Soldaten , Kriegsgefangenen oder Invaliden bei ihrem Studium geholfen werden
könnte , habe ein ehemaliger KZ-Häftling ausgerufen , dass er sich weigere , neben früherem
KZ-Wachpersonal oder SS-Spitzeln auf den Hörsaalbänken Platz zu nehmen. Dem habe
ein anderer Student entgegnet , dass das wohl ein extremes Beispiels sei , zumal derartige
Personen ohnedies nicht zum Studium an der Universität zugelassen würden.1973 In diesem
Moment habe sich ein weiterer , gesundheitlich angeschlagener Student mit schwer ver-
nehmbarer , leiser Stimme zu Wort gemeldet und mit dem Satz begonnen : „Ich war ein SS-
Mann“. Wie sich herausstellte , hatte dieser Student , der Mitglied der Waffen-SS gewesen
war ,1974 im Krieg einen Kehl kopf durchschuss erlitten. Auf Zuruf , er solle lauter sprechen ,
habe sich der Vor sitzende der Wahlversammlung an die anwesenden Medizinstudenten ge-
richtet und gemeint , es sei wohl unschwer zu erkennen , dass es dem Invaliden nicht möglich
wäre , lauter zu sprechen. Dieser habe aber fortgesetzt und gesagt , dass er es heute sehr be-
dauere , der SS angehört zu haben. In krauser Argumentation , die sein Recht auf Zulassung
1969 „Freche Nazi-Provokationen an der Wiener Universität“. In : Österreichische Zeitung , 15. Novem
ber 1946 , 2.
1970 Erhardt an Secretary of State / Washington , D.C. Communist Riot and Demonstration Against Vienna
University , November 22 , 1946 , No. 2063 , 3. NARA II , RG 84 , Foreign Service Posts of the Depart-
ment of State. Austria , POLAD & USCOA , Classified Records 1945–55 , Box 3 , 2.
1971 ÖSTA / AdR , BMfI , Mappe : Die Hochschulwahlen in Wien , Anhang zu TB Nr. 340 , 18. November
1946 , 1. Zit. nach : Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 165.
1972 Erhardt an Secretary of State / Washington D.C., Communist Riot and Demonstration Against Vienna
University , a. a. O., 2.
1973 Ebd., 2.
1974 UAW , MED S8 , 419 , Eidesstaatliche Erklärung des Studenten L. vom 19. September 1946. Vgl. nach :
Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 178.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741