Seite - 494 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Bild der Seite - 494 -
Text der Seite - 494 -
4. „The democratic way of life in Austria“
494
botsgesetz-Novelle vom 16. November 1946 , die zwar verlautbart , aber nicht mehr durch-
geführt wurde , hatten die Vertreter der drei Parteien vorgesehen , die bisherige individuelle
Amnestie durch eine Gruppenamnestie zu ersetzen.
Mit dem neuen Verbotsgesetz ging man nun davon ab , „Illegalität“ wie bisher quasi
mit Hochverrat gleichzusetzen
– diese hatte nur mehr im Zusammenhang mit konkreten
Straftaten Bedeutung –, sondern machte zum Kriterium , ob Personen während der Zeit
des Nationalsozialismus führende politische Funktionen in der NSDAP innegehabt hatten
oder nicht.2148 Dabei wurden die Nationalsozialisten nun in zwei Gruppen unterteilt : zum
einen die zu bestrafenden hohen Funktionäre der NS-Organisationen , die Offiziere der
NS-Wehrverbände ( SA , NSKK , NSFK ), die Hoheitsträger der Partei sowie Mitglieder
der SS , zum anderen die „Belasteten“ und „Minderbelasteten“
– „Parteianwärter“ waren ab
sofort nicht mehr registrierungs
pflichtig
–, die ab nun , je nach Grad ihrer Aktivität und In-
volvierung , nicht mehr als straf- sondern als „sühnepflichtig“ galten.2149 Nach dreijähriger
Bezahlung eines finanziellen Sühnebetrags konnten sich Minderbelastete jetzt freikaufen ,
und auch für Belastete galt – je nach Grad ihrer Belastung –, dass sie nach einer gewis-
sen Zeit ( fünf oder mehr Jahre ), in der sie Gehalts- und Pensionskürzungen akzeptieren ,
Dienstverbote hin nehmen mussten und vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen waren , ihre
Schuld tilgen konnten.2150
Entgegen der mit dem ‚Minderbelastetengesetz‘ erlassenen versöhnlichen Haltung ge-
genüber Mitläufern kam es im universitären Bereich für die Studierenden allerdings zu –
temporären – Verschärfungen. Vor dem Hintergrund der geschilderten Aus schrei tungen
bei den Hochschüler schafts wahlen hatte der National rat im Rahmen des neuen Verbots-
gesetzes begonnen , neben den Belasteten nun auch Minder belas te te fallweise und zeit-
weilig vom Hochschulstudium auszu schließen. Diese gesetzliche Regelung wurde dann
auf Drängen der russischen Vertreter im Alliierten Rat noch zusätzlich verschärft , indem
Minderbelastete ab sofort ausnahmslos , und zwar bis zum 30. April 1950 ( § 17 , Abs. 3 ), vom
Studium auszuschließen waren.
Am 21. April 1947 wurde dem Alliierten Rat der Re-Screening-Endbericht schließlich
vorgelegt , der nun auch die gewünschten Präzisierungen enthielt.2151 Unter den 680 Stu-
NSG 1947 [ 2001 ]. Vgl. www.nachkriegsjustiz.at/service/gesetze/nsg1947.php [ Zugriff am 7. 1. 2011 ]. Si-
ehe auch den Hinweis bei : Pfefferle / Pfefferle , Glimpflich entnazifiziert , a. a. O., 7 f.
2148 Stiefel , Entnazifizierung , a. a. O., 102.
2149 BGBl. Nr. 25 / 1947 , § 19. Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung von Nati-
onalsozialisten ( Nationalsozialistengesetz ).
2150 Stiefel , Entnazifizierung , a. a. O., 103 f.
2151 Wie wenig aufeinander abgestimmt und offenkundig heillos unkoordiniert im Zusammenhang der
Über mittlung des genannten Endberichtes an den Alliierten Rat vorgegangen wurde , zeigt sich daran ,
dass das Unterrichtsministerium eine identische Fassung dieses Berichtes Ende Mai 1947 als „Ergän-
zung“ zum Bericht des Bundeskanzleramtes vom 29. März 1947 dem Bundeskanzleramt zur Vorlage an
den Alliierten Rat zugesandt hat. NARA II , RG 84 , ( 84 / 350 / 49 / 09 / 5 ), Box 12 [ Entry 2062 ]. Foreign
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741