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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
zuletzt wohl auf Grund der dem U.S. Department of State längst vorliegenden Ent nazi-
fizierungsberichte
–, zu , dass in der unmittelbaren Anfangszeit der Besatzung bis Februar
1946 „very little positive progress had been made in denazification“, und nennens werter
Fortschritt erst mit den jüngsten ‚Säuberungen‘ ( „recent purge of university faculty and
students“ ) erzielt worden sei.
Ein Indikator dafür , wie unzureichend die US-Entnazifizierung in Österreich tat-
sächlich verlaufen ist , zeigt sich in der ungeheuren Frustration des zuständigen Chefs der
amerikanischen G2-Entnazifizierungs-Sektion in Österreich , Joseph Zaring , der ange-
sichts der offen kundigen Bedeutungslosigkeit seiner Sektion – zahlreiche Entscheidun-
gen in der US-Entnazifizierungspolitik wurden unter völliger Umgehung seiner Stelle
getroffen – im Juni 1948 um seine Entlassung ansuchte. Wie Kurt Tweraser dargelegt hat ,
wollte Zaring „nicht länger zu der Illusion beitragen , daß das Entnazifizierungsprogramm
erfolgreich abgeschlossen sei.“2202
In der Entgegnung des USFA-Headquarters sah man sich indes bemüßigt , in argumen-
tativ verschwommener Weise auf den durch schlagenden „wissen schaft lichen“ und „inhalt-
lichen“ Demokratisierungs er folg der US-Reorientierungs-Maß nahmen hinzuweisen , der
sogar
– und das verdient hervorgehoben zu werden
– bereits unmittelbar mit der Befreiung
durch die Besatzungs mächte eingetreten sei :
“University reorganization is commonly understood to mean change in the objectives , the pro-
gram or the administration of the institution. The central objective of a modern university is
‘objective scholarship’. Austrian institutions of higher education were quick to seize the oppor-
tunity to repudiate Nazi interference with scholarship. In this important aspect of democratic
education the reorientation of Austrian uni versi ties became complete almost as soon as the liberation
had occured.”2203 [ Hervor hebung d. Verf. ]
Das stand nun ganz im Gegensatz sowohl zu traditionell amerikanischen Bildungs kon zep-
tionen als auch zu den vergleichbaren Forschungsergebnissen moder ner Sozial psychologie
im Zusammenhang der Reeducation. So verwies etwa Charlotte Bühler , die sich seit lan-
gem wissen schaftlich mit Fragen der Re-education befasst hatte , in einem Brief an den
OMGUS-Leiter der „Education and Religious Affairs Division“ [ mit gemeinsamen Brief-
kopf ihres Mannes ] auf ihre jüngsten Forschungser gebnisse :
“It was a very happy moment when I found out that you are in charge of the German re-edu-
cation program. For a long time I had been trying to inform myself on the matter of German
2202 Tweraser , US-Militärregierung in Oberösterreich. Bd. 1., a. a. O., 230.
2203 Lt. Col. B. W. Saurel , Acting Adjutant General , Headquarters United States Forces in Austria , APO 777 ,
to Chief , Civil Affairs Division , War Department Washington : „Reorientation of Austrian Universities“,
9 April 1947 , 1. NARA II , RG 165 , Box 322 , 3.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741