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Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel
im Juni 1946 von General Clay zu seinem persönlichen Berater in Entnazifizierungs fragen
ernannt und mit einer Inspektions reise durch die US-Zone beauftragt :2279 eine Inspektion ,
die mit sachkundig-kritischem Blick durch geführt wurde , und deren Endbericht entspre-
chend ernüchternde Resultate zu Tage förderte. Bereits im Mai hatte Dorn in einer Denk-
schrift über die „antidemokratische Reaktion in Bayern“ geschrieben :
„Nach einem Jahr intensiver Entmilitarisierung und Entnazifizierung , die keinen Zweig des
deutschen Lebens ganz unberührt gelassen haben , gewinnen anti demo kratische und reakti-
onäre Kräfte wieder an Stärke. Es kristallisiert sich eine neo nazistische , nationalistische und
militärische Einstellung heraus. Das gilt besonders für Bayern , das konservativste Land der
US-Zone [ … ]. Diese bayerische Reaktion drückt sich in einer ostentativen Sympathie für
hinausgeworfene Nazis aus , in der notorischen Neigung , demokratische Institutionen , die ihr
als fremd und korrum pie rend gelten , lächerlich zu machen [ … ]“.2280
Es war dann insbesondere die Unzufriedenheit oberster Beamter des State Depart ments an
der US-Militärregierung in Deutschland ,2281 die schließlich zu einer Trend wende führte.
So hatten Archibald MacLeish , Assistant Secretary of State for Public and Cultural Re-
lations , seit langem intensiv mit Fragen der Reeducation befasst ,2282 Robert D. Murphy ,
Leiter des „Bureaus for German Affairs“ im State Department und weitere US-Bildungs-
experten2283 neuerlich Kritik geäußert. Sie nahmen die unzureichende Aus stattung der
2279 OMGUS General Order No. 40 vom 10. Juni 1946 : „Organization of Denazification Responsi bilities“.
In : OMGB Special Branch ( Ed. ), German Denazification Law and all Implemen tations and Ame-
rican Directives , 1947 , D 7. Zit. nach : Walter L. Dorn , Inspektionsreisen in der US-Zone. Notizen ,
Denk schriften und Erinnerungen aus dem Nachlaß übersetzt und herausgegeben von Lutz Niethammer ,
(= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nr. 26 ), Stuttgart 1973 , 88.
2280 Dorn , Inspektionsreisen in der US-Zone , a. a. O., 79.
2281 Obwohl Österreich hier nicht eigens erwähnt wurde , kann keineswegs davon ausgegangen werden , dass
die US-Militärregierung in Österreich von der Kritik ausgenommen wurde – aus Sicht der mit Re orien-
tierungs-Fragen befassten Abteilungen des War und State Department war die Besatzungszone in Österr-
eich quasi nur eine spezifisch kleindimensionierte ‚Verlängerung‘ der Planungseinheit Deut sch land.
2282 Leish erstellte 1945 bspw. Listen hochkarätiger US-Bildungsexperten – auf diesen befand sich auch
der Name von Hermann B. Wells –, die sich für „top jobs“ in der Reeducation eignen würden und war
wiederholt Ansprechperson für zivile US-Beobachter und ihren Befürchtungen gegen über den ameri-
kanischen Reeducation-Aktivitäten nach erfolgten Fact-Finding-Missions in Deutschland , wie in fol-
gendem Beispiel : „Twelve years of their lives [ … ] have been dominated by Nazi ideology. Twelve years
in which a democratic thought was a crime against the state. [ … ] It seems to me that we are allowing
our selves to forget about the education [ … ] and do the re-education [ … ] of the German people.“ Ed-
ward O. Hascall to Archibald Leish , UNESCO , 25. Februar 1946 , 1. Zit. nach : The U. S. Occupation of
Germany : Educational Reform 1945–1949 , Micro film-Collection , a. a. O., 1-A-34.
2283 An der ( marginalen ) Überarbeitung des finalen Entwurftextes des „Longe Range Policy State ments“
waren Gordon Bowles , Leon Fuller und Eugene N. Anderson beteiligt. Vgl. Tent , Mission on the Rhine ,
a. a. O., 33.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741