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5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg
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OMGUS-Abteilung „Educational and Religious Affairs“ ( E & RA ) sowie das generelle
Fehlen einer demokratiepolitischen Perspektive zum Anlass , das noch immer zwischen
den Gremien hin und her wechselnde Strategiepapier endlich als Planungs- und Hand-
lungsdirektive einer Beschlussfassung durch das SWNCC-Coordinating Subcommittee
for Europe zuzu führen.
In einem Memorandum , das Eugene N. Anderson2284
– mittlerweile zum Acting Chief
der German-Austrian Branch im State Department avanciert – im April 1946 unter an-
deren Hans Speier vorlegte , um es dann in einer Sitzung des Advisory Committees zu
diskutieren , wurde im Hinblick auf langfristig wirksame Reorien tierung s-Maßnahmen
vor allem die Notwendigkeit eines raschen Beginns von Personenaustausch-Programmen
hervorgehoben.
Im Unterschied zur Auffassung leitender Offiziere der US-Education Division in Ös-
terreich , die – wie bereits dargestellt – das österreichische Universitätssystem in völlig
unkritischer Distanz zur Real situation mitunter geradezu in den ‚akademi schen Olymp‘
hoben , war Anderson zu einem differenzierten Befund der restaura tiven österreichischen
Wissenschaftspolitik gelangt. Anlässlich einer vom „American Council of Learned So-
cieties“ ( ACLS ) vorgeschlagenen und von Alonzo G. Grace als Leiter der „Education
and Cultural Relations Division“ der US-Besatzungsmacht in Deutschland genehmigten
Studien reise , die in den Monaten Mai bis Juli 1949 stattfand , diagnostizierte Anderson ei-
ne geistige Enge , die das österreichische und deutsche Geistesleben von innen und außen
gleichermaßen bedrohe : „[ … ] the German and Austrian Academicians are the first victim
of their own intellectual training“.2285
Der ausführliche Abschlussbericht Andersons fasste neben Eigenbeobachtungen die
Ergebnisse mehrstündiger Gespräche mit über 200 Universitätslehrern in Deutschland
und über 30 Professoren und Dozenten2286 an den drei österreichischen Universitäten
zusammen. Die Untersuchung kam zu einem ernüchternden Ergebnis hinsichtlich der
angewandten Lehr- und Lernmethoden , des intellektuellen Selbstverständnisses der aka-
demischen Elite , der vorhandenen Ausstattung mit relevanter Forschungs litera tur , der
internationalen Kooperationsbereitschaft , dem Blick über die fachlichen Grenzen sowie
2284 Eugene N. Anderson ( 1900–1984 ), US-Historiker an der University of Chicago , der University of Ne-
braska und an der UCLA. Anderson war spezialisiert auf Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhun-
derts. Anfang der 1930er-Jahre kam er bei seinen Forschungsarbeiten in Berlin mit Friedrich Meinecke
in Kontakt und war mit dessen Schülern befreundet. Im Zweiten Weltkriegs wurde Anderson 1944 als
Nachfolger von Walter Dorn zum Leiter der Mitteleuropaabteilung der „OSS Research and Analysis
Branch“. Siehe : Gerhard A. Ritter ( Hrsg. ), Friedrich Meinecke. Akademischer Lehrer und emigrierte
Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910–1977 , München 2006 , 318 , Anm. 21.
2285 Eugene N. Anderson , The Humanities in the German and Austrian Universities , Washington D.C. 1950 ,
86–97. Hier zit. nach : Wagnleitner , Coca-Colonisation , a. a. O., 194.
2286 Sowohl in Deutschland als auch in Österreich bestand jeweils ein Drittel der Befragten aus Angehörigen
der amerikanischen , französischen oder der britischen Militär behörden.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741