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5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg
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Maßstab der demokratischen Reorientierung : ein Aspekt , den auch der US-Secretary of
State , James F. Byrnes , schon in einer Note im September 1946 hervorgehoben hatte , in-
dem er in An knüpfung an die Potsdamer Konferenz davon sprach , dass der demokratische
Neu aufbau von Grund auf erfolgen müsse , und bekräftigte : „never was the intention of
the American Government to deny to the German people the right to manage their own
internal affairs“;2336 von nun an war auch im Hinblick auf Deutschland nicht mehr von
„Niederlage“, sondern von „Befreiung“2337 die Rede.
Der Kurswechsel in der Besatzungspolitik der amerikanischen Militärbehörden schlug
sich zwar erst zeitversetzt in konkreten Maßnahmen nieder , doch der zentrale Stellen
wert
und die Bedeutung der demokratischen Reorientierung standen nun auch für die US-
Militärs fest. Das zeigt sich unter anderem auch daran , dass General Clay mit Hermann
B. Wells ,2338 dem Präsidenten der Universität Indiana , eine neue Leitungs persönlichkeit
für die Reorientierungs-Agenden einsetzte , die im Bereich der privaten U.S. Kultur- und
Bildungseinrichtungen hervorragend vernetzt und auch im Fundraising versiert war : „[ … ]
it was felt that improvement of the situation required an outside person.“2339
Wells trat seine überaus kurze Amtszeit im November 1947 an2340 und richtete um-
gehend ein Gremium ein , in dem private beziehungsweise zivile Experten – „key persons
in fields of education , religion , youth activities , citizenship“2341 – sowie phil an thropische
US-Institutionen , wie die Rockefeller oder die Guggenheim Foundation , zusammenge-
fasst wurden.2342
Des Weiteren zeigt sich die neue besatzungspolitische Zielsetzung in der nur kurze Zeit
später erfolgten Umbenennung der bisher für Reeducation-Angelegenheiten zuständi-
2336 James F. Byrnes , 6. September 1946. Zit nach : Cassidy ( Ed. ), Germany 1947–1949 , a. a. O., 3–8.
2337 Kellermann , Cultural relations as an Instrument of U. S. Foreign Policy , a. a. O., 18.
2338 Herman B. Wells ( 1902–2000 ), liberaler Ökonom , Finanzadministrator , Banker , Universitätslehrer und
Präsident der Indiana University , der 1943 dem „American Council for Education“ ( ACE ) beigetreten
war und 1944–1945 zu dessen Vorsitzendem gewählt wurde. Von 1943 bis 1944 arbeitete Wells zu-
dem für das „Office of Foreign Economic Cooperation“ im U. S. State Depart ment. Nach Kriegsende
verbrachte er 1946 als Angehöriger einer amerikanisch-französisch-englischen Wahl beobachtungs-
kommission einige Monate in Griechenland. Während seiner Zeit in Berlin soll Wells auch eine zentrale
Rolle bei der Einrichtungen der Freien Universität gespielt haben. Wells , Being Lucky , a. a. O., 375.
2339 Wells , Being Lucky , a. a. O., 302.
2340 Tatsächlich belief sich die Amtszeit von Wells , der Thomas R. Alexander , einem Pädagogen des Teachers
College an der Columbia University , beziehungsweise John Taylor , dem Präsidenten der University of
Louisville , in der Position des Acting Directors der OMGUS E & RA-Divsion nach folgte , auf nur ganze
sechs Monate : vom 21. November 1947 bis 27. Mai 1948. Siehe : Wells , Being Lucky , a. a. O., 304.
2341 Memorandum to Mr. James L. Sundquist , „Meeting with Mr. Wells with respect to German reorienta-
tion problem“, New York City , 15. November 1947. The U. S. Occupation of Germany : Educational Re-
form 1945–1949 , Microfilm-Collection Con gres sional Information Service , edited by Gary H. Tsuchi-
mochi , Tokyo 1991 ( Bestand Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien , Bibliothek ), 2-A–408 , 1.
2342 Vgl. Schmidt , Civil Empire by Co-optation , a. a. O., 90.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741