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6. Endphase der Besatzung
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planerstellung ) lange von jeder Reform verschont. Obwohl der Versuch , die bestehende
Autonomie an Österreichs Universitäten formal noch weiter zu stärken , letztlich kein Er-
folg beschieden war , gelang es einer Gruppe konservativer Hochschul professoren rund
um Richard Meister als Vertreter der Rektorenkonferenz , mit dem im Juni 1955 erlassenen
Hochschul organisationsgesetz die traditionelle Machtstellung der Professorenkollegien
auf den gesamten Wissenschafts betrieb zu zementieren und damit die wissenschaftspoli-
tische und gesellschaftliche Abschottung des Universitätssystem zu perpetuieren.2726 Das
Hochschulorganisationsgesetz 1955 bestätigte , wie Thomas König konzise dargestellt hat ,
sowohl die „antiquierte Struktur der Fakultäten“ als auch den weitgehend intransparen-
ten Modus der Professoren-Berufungen , bei dem das Ministerium nur in seltenen Fällen
intervenierte : „Zumindest weltanschaulich heikle Berufungen dürften in der Regel oh-
nehin bereits vorab mit Drimmel abgesprochen worden sein. [ … ] Gerade in der Phase
der Hochschul expansion wurden daher weiterhin vor allem die hauseigenen Dozenten
rekrutiert.“2727
Dass in Österreich jedenfalls eine ‚weiche‘ Form wissenschaftspolitischer „Amerikani-
sierung“
– hier verstanden als akademische Dominanz und partielle Übernahme amerika-
nischer Forschungs organisation und Wissenschaftskultur
– im Vergleich zu anderen Staa-
ten erst spät Einzug hielt , dokumentiert unter anderem auch die inhaltliche und formale
Gestaltung – Fackelzug und „Damenprogramm“ inklusive – des offiziellen Festberichtes
der Universität Wien zur 600-Jahr-Feier im Jahr 1965 : An ihr nahmen erstaunlicher weise ,
trotz der geschilderten guten Kontakte zu den leitenden Offizieren der US-Militärver-
waltung während der Besatzungs jahre , keine offiziellen Vertreter einer ameri kanischen
Universität teil.2728 Die offizielle Festrede in der Wiener Stadthalle hielt dafür der Altphi-
2726 Siehe : Thomas König , Die Entstehung eines Gesetzes : Österreichische Hochschulpolitik in den 1950er-
Jahren. In : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften , 23. Jg., November 2012 , Heft 2 , 70 f.
2727 Ebd., 73.
2728 Persönliche Grußworte überbrachten die Rektoren und Dekane der Universitäten in Paris , Bologna , Ox-
ford , München und Krakau. Wissenschaftliche Vorträge hielten , neben Wiener Wissen schaftern , Ver-
treter der Universitäten Paris , Göttingen und Innsbruck. Glück wunsch adressen langten von folgenden
amerikanischen Universitäten ein ( „L“ steht für Latein , „E“ für in Englisch gehaltene Grußadressen ):
Ann Arbor ( E ), Austin ( L , E ), Baltimore ( E ), Berkeley ( E ), Bloomington ( E ), Boston ( L ), British-Co-
lumbia ( E ), Harvard ( L , E ), Charlottesville ( L ), Chicago ( E ), Cincinnati ( E ), Massachusetts ( E ), Ohio
( E ), Detroit ( E ), Ithaca ( L ), Madison ( E ), Minneapolis ( E ), New Orleans ( E ), New York ( L ), Pasadena
( E ), Philadelphia E ), Princeton ( L ), Providence ( L ), St. Louis ( E ), Stanford ( E ). Von den insgesamt
188 Universitäten über brachten 96 ihre Grußworte ausschließlich in Lateinischer Sprache ( 51 % ), wo-
bei sich nur 13 % der amerikanischen Universi täten für diese traditionelle Gepflogenheit entschieden ;
die russischen und japanischen Glück wunsch adressen wurden aus den Landessprachen übersetzt. Vgl.
Die Sechshundert jahrfeier der Universität Wien. Offizieller Festbericht im Selbstverlag der Universität
Wien 1965 , Wien o. J. [ 1965 ]. Eröffnet wurden die Festivitäten am 9. Mai 1965 durch einen Fackel zug
der Öster reichischen Hochschülerschaft , der in dem Band auch fotografisch doku mentiert ist.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741