Seite - 659 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Schlussbemerkung 659
politisch aktiven „U.S. Information Service Branch“ ( ISB ) analog zur ECR-Abteilung in
der Besatzungszone Deutschlands , insbesondere die USACA-„Education Division“ zu-
ständig war , umfassten den gesamten Bereich von Kultur und Bildung und somit explizit
auch den Bereich des wissenschaftlich-akademischen Wieder
aufbaus. Nachdem das U.S.
Department of State 1946 die Kontrolle über die bisher von den militärischen Besatzungs-
apparaten nur wenig effizient be triebene und insbesondere in Deutschland primär punitiv
durchgeführte „Reeducation“ neu organi
sierte , griff man auf die früheren zivilen Konzepte
( 1942–1944 ) einer langfristigen , auf „Selbsterziehung“ zielenden Demokratisierung zurück.
Im Zuge der daraufhin veranschlagten „longe range policy“ bildete insbesondere die Neu-
orientierung der akade mischen , wirtschaftlichen und politischen Eliten einen Schwer-
punkt der US-Reorien tierung.
Aber trotz präziser Detailinformationen der US-Geheimdienste über den Real
zustand
der österreichischen Universitäten zu Beginn der Zweiten Republik und der bald zuneh-
menden öffentlichen Kritik an der unzureichenden autonom durch geführten Entnazifi-
zierung an den ‚Hohen Schulen des Landes‘ , sowie ungeachtet des eigens eingerichteten
alliierten Entnazifizierungskomitees Anfang 1946 , änderte sich die Situation nicht zuletzt
auf Grund der zurückhaltenden beziehungsweise zurück genommenen Position der US-
Militärregierung selbst nach öffentlichen Groß konflikten wie den Hochschulkrawallen im
November 1946 kaum merklich. Die dabei mehrfach auftauchenden Konflikte mit überge-
ordneten Behördenstellen in Washington , welche insbesondere in der Frage der Entnazi-
fizierung Zweifel am Vorgehen an der US-Education Division hegten , führten 1947 kurz-
fristig beinah zur Auflösung dieser US-Kommandoeinheit auf österreichischem Boden.
Trotz der bereits während der Kriegsjahre im zivilgesellschaftlichen Amerika diskutier-
ten Überlegungen und der differenzierten Konzepte für eine solide demo kratische Umo-
rientierung der Achsenmächte nach Kriegsende , deren Kerngehalt vom U.S. Department
of State zu einer zentralen Agende der US-Militärbesatzung gemacht wurde , blieb die
Vorbedingung der projektierten geistigen und kulturellen Demo kratisie rung Österreichs ,
nämlich die grundlegende Entnazifizierung , selbst in dem besonders sensiblen Bereich
der Reorientierung des akademisch-universitären Lebens weit
gehend unerfüllt. Die „non-
interference“-Politik der amerikanischen Besatzungs macht im Bereich des gesellschaft-
lichen Elitentransfers sowie die insgesamt nicht-interventionistische Position der west-
alliierten Mächte haben die konservativen beziehungsweise restaurativen Tendenzen im
akademisch-universitären System der Nach kriegszeit – wenn auch sicherlich unbeab-
sichtigt – insgesamt eher verfestigt als aufgebrochen , jedenfalls nicht verhindert. Resul-
tat war jedenfalls eine österreichische Wissen schafts kultur und Wissenschaftspolitik , die
sich , trotz aller grundsätzlich vorhandenen Möglichkeiten für eine vertiefte , internationale
Koopera tion , eine demokratische Öffnung sowie für eine methodisch-strukturelle Reform
und Modernisierung erst Jahrzehnte später allmählich zu wandeln begann.
Die für einen grundlegenden demokratischen Neubeginn in der österreichischen
Wissen schaftslandschaft unbedingt notwendigen Entnazifizierungs maßnahmen wurden
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741