Seite - 21 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Kindheit
Aus stillem Hause senden die Götter oft
Auf kurze Zeit zu Fremden die Lieblinge,
Damit, erinnert, sich am edlen
Bilde der Sterblichen Herz erfreue.
Das Hölderlin-Haus steht in Lauffen, einem altertümlich-klösterlichen
Dörfchen am Neckar, ein paar Wegstunden nur von Schillers Heimat. Diese
ländlich-schwäbische Welt ist Deutschlands mildeste Landschaft, sein Italien:
die Alpen drücken nicht mehr rauh heran und sind doch ahnend nah, silbernen
Bogens strömen Flüsse durch Rebengelände, Heiterkeit des Volkes mindert
die Herbe des alemannischen Stammes und löst sie gern in Gesang. Die Erde
ist reich ohne Üppigkeit, die Natur lind, doch ohne Freigebigkeit:
handwerkliches Geschäft gattet sich fast übergangslos der bäuerlichen Welt.
Die Dichtung der Idylle hat dort ihre Heimat, wo die Natur den Menschen
leicht befriedet, und selbst der in tiefste Düsternis getriebene Dichter denkt
der verlorenen Landschaft mit gemildertem Sinne:
Engel des Vaterlands! O ihr, vor denen das Auge,
Sei’s auch stark, und das Knie bricht dem vereinzelten Mann,
Daß er sich halten muß an die Freund’ und bitten die Teuern,
Daß sie tragen mit ihm all die beglückende Last,
Habt, o Gütige, Dank!
Wie sanft, wie elegisch-zärtlich wird des Schwermütigen Überschwang,
wenn er dies Schwaben singt, diesen seinen Himmel unter den ewigen
Himmeln, wie beruhigt flutet der Aufschwall ekstatischen Gefühls zu
ebenmäßigem Rhythmus zurück, wenn er an diese Erinnerungen rührt! Aus
der Heimat geflüchtet, verraten von seinem Griechenland, zernichtet in seinen
Hoffnungen, baut er aus zärtlichem Gedenken immer wieder dies eine Bild
der kindlichen Welt:
Seliges Land! Kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock,
Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbst das Obst.
Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge,
Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr sonniges Haupt.
Und, wie die Kinder hinauf zur Schulter des herrlichen Ahnherrn,
Steigen am dunklen Gebirg Festen und Hütten hinauf.
Ein Leben lang sehnt er sich in diese Heimat als in den Himmel seines
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199