Seite - 61 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Nachtigallengesang im Dunkeln
Des Herzens Woge schäumte nicht so schön
empor und würde Geist, wenn nicht der alte
stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstände.
Wohl in solcher tragisch verdüsterten Stunde, selbst selig im einsamen
Gesang, mag Hölderlin jene von tiefster Urmacht emporgetragenen Zeilen
geschrieben haben: »Ich hatte es nie so ganz erfahren, jenes alte feste
Schicksalswort, daß eine neue Seligkeit dem Herzen aufgeht, wenn es aushält
und die Mitternacht des Grams durchduldet und daß wie Nachtigallengesang
im Dunkeln göttlich erst im tiefen Leid das Lebenslied der Welt uns tönt.«
Nun erst härtet sich die knabenhaft-ahnende Melancholie zur tragischen
Trauer, und die elegische Düsternis schwillt über in hymnische Gewalt. Die
Sterne seines Lebens sind niedergesunken, Schiller und Diotima – urallein im
Dunkel hebt jetzt der »Nachtigallengesang« an, der nicht mehr vergehen wird,
solange ein deutsches Wort lebt, nun erst ist Hölderlin »durch und durch
gehärtet und geweiht«. Was der Einsame in jenen wenigen Jahren auf der
steilen Klippe zwischen Ekstase und Absturz schafft, ist, vom Genius
gesegnet, vollendetes Werk: alle Rinden und Schalen, die seines Wesens
glühenden Kern verhüllten, sind gesprengt, frei strömt die Urmelodie seines
Seins in den unvergleichlichen Rhythmus des Schicksalsliedes. Nun entsteht
jener herrliche Dreiklang seines Lebens: das Hölderlinsche Gedicht, der
Hyperionroman, die Empedoklestragödie, diese drei heroischen Varianten
seines Aufstiegs und Untergangs. Erst im tragischen Einsturz seines irdischen
Geschicks findet Hölderlin die höchste geistige Harmonie.
»Wer auf sein Leid tritt, tritt höher«, sagt sein Hyperion. Hölderlin hat den
entscheidenden Schritt getan, er steht fortan über seinem eigenen Leben, über
seinem persönlichen Leiden, er erlebt nicht mehr sentimentalisch-suchend,
sondern tragisch-wissend sein Schicksal. Wie sein Empedokles am Ätna:
unten die Stimmen der Menschen, über sich die ewigen Melodien, vor sich
den feurigen Abgrund, so steht er herrlich allein. Die Ideale sind wie Wolken
entschwebt, selbst Diotimas Bildnis dunkelt nur leicht wie aus Träumen her:
nun heben mächtige Visionen an, prophetische Schau, rollender Hymnus und
klingende Verkündigung. Nur eine Sorge rührt ihn noch leise an: zu früh zu
sinken, ehe er den großen Päan, das Siegeslied seiner Seele gesungen. So
wirft er sich noch einmal hin vor den unsichtbaren Altar mit der Bitte um
heldischen Untergang, um den Tod im Gesang:
Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199