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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Scardanelli Der aber ist ferne, nicht mehr dabei, Irr ging er nun, denn allzugut sind Genien: himmlisch Gespräch ist sein nun. Vierzig Jahre lang ist der irdische Hölderlin fortgetragen von der Wolke des Wahnsinns; was unterdessen auf Erden von ihm weilt, ist sein armes alterndes Schattenbild Scardanelli: denn so und nur so schreibt seine unbeholfene Hand unter die wirren Blätter mit Versen. Er hat sich selber vergessen und die Welt ihn. In fremdem Haus bei dem braven Tischlermeister wohnt dieser Scardanelli bis tief ins neue Jahrhundert hinein. Ungerührt streicht die Zeit um das dämmernde Haupt, und endlich bleicht von ihrer blassen Berührung das einstens blondwallende Haar. Außen formt sich die Welt in Sturz und Wandel: Napoleon bricht ein in Deutschland und wird wieder vertrieben, von Rußland jagen sie ihn bis Elba und Sankt Helena, dort lebt er wie ein gefangener Prometheus noch zehn Jahre, stirbt und wird Legende – der Einsame in Tübingen weiß es nicht, der doch einst den »Helden von Arcole« besungen. Schiller, der Herr seiner Jugend, wird nachts von Handwerkern zur Grube gesenkt, sein Gebein modert Jahre und Jahre, dann sprengt sich die Gruft, Goethe hält den Totenschädel des geliebten Freundes sinnend in Händen, aber der »himmlische Gefangene« versteht nicht mehr das Wort Tod. Dann geht jener selber hinweg, derdreiundachtzigjährige Weise von Weimar geht in den Tod nach Beethoven und Kleist und Novalis und Schubert; ja Waiblinger selbst, der als Student Scardanelli oft in seiner Zelle besuchte, wird eingesargt, indes jener noch »sein Schlangenleben« führt. Ein neues Geschlecht ersteht, Hölderlins verschollene Söhne, Hyperion und Empedokles, wandeln endlich geliebt und erkannt durch deutsches Land – aber kein Laut, keine Ahnung davon dringt in des Tübingers geistige Gruft. Er ist ganz jenseits aller Zeit, ganz im Ewigen, in Rhythmus und Melodie ertrunken. Manchmal kommt ein Fremder, ein Neugieriger, den sagenhaft Verschollenen zu sehen. Am alten Stadtturm von Tübingen klebt ein kleines Häuschen, und oben im Erker, der vergittertes Fenster, aber freien Blick hat in die Landschaft, ist Scardanellis schmales Gelaß. Die braven Tischlersleute geleiten den Besucher hinauf zu einer kleinen Tür: hinter ihr hört man sprechen, aber niemand ist innen als der Kranke, der unaufhörlich in gehobener Sprache vor sich hin summt. Wie Psalmodieren läuft dieser wirre Sprudel von Worten ohne Form und Sinn ihm lose vom Munde. Manchmal 91
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Titel
Der Kampf mit dem Dämon
Untertitel
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Autor
Stefan Zweig
Datum
1925
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
202
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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