Seite - 29 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Mission des Dichters
An das Göttliche glauben
Die allein, die es selber sind.
Die Schule war für Hölderlin Kerker gewesen: voll Unruhe und doch voll
leiser, ahnender Angst tritt er nun der Welt, der ihm ewig fremden, entgegen.
Was an äußerer Wissenschaft zu lehren war, hat er im Tübinger Stift
empfangen, er bemeistert vollkommen die alten Sprachen, Hebräisch,
Griechisch, Latein; mit Hegel und Schelling, den Stubengenossen, hat er
emsig Philosophie getrieben, und durch Siegel und Brief wird ihm außerdem
bezeugt, daß er im Theologischen nicht müßig gewesen, daß er »studia
theologica magno cum successu tractavit. Orationem sacram recte elaboratam
decenter recitavit«. Er kann also schon gut protestantisch predigen, und ein
Vikariat mit Beffchen und Barett wären dem Studiosus gewiß. Der Wunsch
der Mutter ist erfüllt, die Bahn steht offen zu bürgerlichem oder geistlichem
Beruf, zu Kanzel oder Katheder.
Aber Hölderlins Herz fragt von der ersten Stunde an niemals nach einem
weltlichen oder geistlichen Berufe: er weiß nur von seiner Berufung, von
seiner Mission höherer Verkündung. In der Schulstube schon hat er –
»literarum elegantiarum assiduus cultor«, wie das Zeugnis barock floskelt –
Gedichte geschrieben, elegisch-nachahmende zuerst, dann feurig dem
Klopstockschen Schwunge nachtastende und schließlich jene »Hymnen an die
Ideale der Menschheit« in Schillers rauschendem Rhythmus. Ein Roman
»Hyperion« ist begonnen: von der ersten Stunde wendet der Schwärmer
entschlossen das Steuer seines Lebens dem Unendlichen zu, dem
unerreichbaren Strande, an dem es zerschellen soll. Nichts kann ihn beirren,
diesem unsichtbaren Ruf mit selbstzerstörender Treue zu folgen.
Von vornherein lehnt Hölderlin jedes Kompromiß des Berufes, jede
Berührung mit der Vulgarität eines praktischen Erwerbs ab, er weigert sich,
»in Unwürdigkeit zu vergehen«, zwischen die Prosaik einer bürgerlichen
Stellung und die Erhobenheit des innern Berufes irgendeine noch so schmale
Brücke zu bauen:
Beruf ist mirs,
Zu rühmen Höhers, darum gab die
Sprache der Gott und den Dank ins Herz mir
verkündet er stolz. Er will rein bleiben im Willen und geschlossen in seiner
Wesensform. Er will nicht die »zerstörende« Wirklichkeit, sondern sucht ewig
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199