Seite - 68 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Bild der Seite - 68 -
Text der Seite - 68 -
Der Tod des Empedokles
und
Klar wie die ruhigen Sterne gehen
Aus langem Zweifel reine Gestalten auf
Empedokles ist die heroische Steigerung des Hyperiongefühls, nicht mehr
Elegie der Ahnung, sondern Tragik des Schicksalerkennens: was dort lyrisch
ausklingt im Schicksalsliede, rauscht hier empor zu dramatischer Rhapsodie.
Aus dem Träumer, dem ratlosen Sucher ist der Held, der wissende und
furchtlose, geworden: eine Stufe, eine gewaltige, ist Hölderlin, seit ihm »die
ganze Seele beleidigt war«, emporgeschritten zur freiwilligen, antikisch
frommen Hingabe an das Geschick. Darum ist die geheimnisvolle Trauer, die
beide Werke musikalisch überschwebt, eine so durchaus andersfarbene, im
Hyperion nur morgendliche Trübe, im Empedokles aber schon finstere,
schicksalsträchtige Gewitterwolke. Schicksalsgefühl ist jetzt heroisch
gesteigert zum Untergangsgefühl: ging es Hyperion dem Träumer noch um
das edle Leben, um Reinheit und Einheit der Existenz, so fordert Empedokles,
in dem alle Träume ausgelöscht sind in ein erhabenes Wissen, nicht mehr ein
großes Leben, sondern nur großen Tod.
Darum überragt die Gestalt des Empedokles um ein so Sichtliches den
schmächtigen, wirren Schwärmer Hyperion: höherer Rhythmus wird hier im
Gedichte angeschlagen, denn nicht das zufällige Leiden des Menschen wird
hier enthüllt, sondern die heilige Not des Genius. Das Leiden des Knaben
gehört ihm selbst und der Erde zu, gemeiner Teil, jeder Jugend verhaftet – der
Schmerz des Genius aber ist hoher Besitz, ihm selbst schon verwandt, solches
Leiden ist »heilig« – »ihr Schmerz gehört den Göttern«.
Ein Sterben in Schönheit, den freien Tod mit ungebrochenem Gefühl aus
der Ganzheit der Seele, ihn wollte Hölderlin sich selbst vorbilden (denn wie
nahe war er wohl solchem Entschluß in jenen Tagen der Selbstzerstörung!):
unter seinen Papieren deutet ein erster Plan auf ein Drama »Der Tod des
Sokrates«. Eines Weisen, eines Freien Heldenuntergang sollte also vorerst
gebildet sein: bald aber drängt den klugen Skeptiker Sokrates das verschattet
überkommene Bild des Empedokles zur Seite, von dessen Schicksal nur das
deutsame Wort überliefert ist, »er rühmte sich, mehr zu sein als die
sterblichen, vielfachem Verderben geweihten Menschen«. Dieses Sich-
anders-, Sich-höher-, Sich-reiner-Fühlen macht ihn zu Hölderlins geistigem
Ahnherrn, und seine ganze Enttäuschtheit an der zerstückten, ewig
fragmentarischen Welt, wirft er ihm durch die Jahrtausende zu. Dem Knaben
Hyperion, ihm konnte er bloß seine musische Ahnung, seine wirre Sehnsucht,
68
Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199