Seite - 119 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Der Zwang zum Drama
Ich dichte bloß, weil ich es nicht lassen kann.
Aus einem Brief
Mit der Vernichtung des »Guiskard« meint der Gequälte den
unbarmherzigen Gläubiger, den furchtbaren Verfolger in sich erdrosselt zu
haben. Aber der Ehrgeiz, der grauenhaft aus den heißesten Adern
emporgestiegene Dämon seines Lebens, ist nicht tot: die unselige Tat war so
sinnlos, wie wenn einer sein Spiegelbild im Spiegel erschießt; nur das
drohende Bild zerklirrt, nicht der Doppelgänger, der in ihm weiterlauert.
Kleist kann sowenig mehr von der Kunst zurück wie der Morphinist vom
Morphium; endlich hat er ein Ventil gefunden, auf kurze Spanne das
entsetzliche Übermaß seines Gefühls, den Aufschwall der Phantasien aus sich
zu entladen, sich auszuschwelgen in dichterischen Träumen. Vergebens wehrt
er sich, aber er kann, der Kongestionierte seiner Gefühle, jenen heißen
Aderlaß nicht mehr entbehren, der ihn befreit. Und dann: das Vermögen ist
aufgezehrt, die militärische Karriere verdorben, nüchterner Beamtenfron
widert seiner gewaltsamen Natur, so hilft nichts, obwohl er gemartert
aufschreit: »Bücherschreiben für Geld – oh, nichts davon.« Die Kunst, die
Gestaltung wird zwanghaft Form seiner Existenz, der dunkle Dämon hat
Gestalt angenommen und wandert mit ihm in die Werke. Alle Lebenspläne,
die er methodisch entworfen, sind zerfetzt vom Sturm des Schicksals: nun
lebt er den Willen, den dumpfen und weisen seiner Natur, die aus unendlicher
Qual des Menschen Unendliches zu formen liebt.
Wie ein Zwang, wie ein Laster liegt von nun ab die Kunst auf ihm. Daher
auch das merkwürdige Zwanghafte, das explosiv Losgerissene seiner
Dramen. Sie sind alle – mit Ausnahme des »Zerbrochenen Krugs«, der
spielhaft, einer Wette zuliebe, aus freilich nervigstem Handgelenk produziert
war – Ausbrüche seines innersten Gefühls, Flucht aus der Hölle seines
Herzens; sie haben alle einen überreizten Schreiton, gleichsam den gellen Ton
eines Erstickenden, der plötzlich Luft findet, sie sind knallhaft weggeschnellt
von überstraff gespannten Nerven, sie sind – man verzeihe das Bild, ich weiß
kein wahreres – herausgespritzt aus innerster Erhitzung und Bedrängnis, wie
der Same des Mannes heiß vom Blute aus dem Geschlecht fährt. Sie haben
wenig Befruchtung vom Geiste, sind kaum überschattet von der Vernunft –
nackt, oft schamlos nackt, stoßen sie ins Unendliche hinein aus einer
unendlichen Leidenschaft heraus. Jedes einzelne treibt ein Gefühl, ein
Übergefühl in seinen Superlativ, in jedem einzelnen explodiert eine andere
Glutzelle seiner gestauten, aller Instinkte trächtigen Seele. Im »Guiskard«
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199