Seite - 16 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Bild der Seite - 16 -
Text der Seite - 16 -
sich das » Image « Kreuzensteins als einer perfekten, ja » idealen «
mittelalterlichen Ritterburg, in der nichts an ihren Ursprung im
19. Jahrhundert erinnern sollte.12 Der Popularität Kreuzensteins
konnten weder der politische Umbruch von 1918 noch die Ableh
nung der Architektur des Historismus in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts etwas anhaben – der eingangs zitierte Kommen
tar vertrat die Meinung einer Minderheit. So blieb eine » Attrak
tion « des 19. Jahrhunderts in ihren wesentlichen Mechanismen
bis heute erhalten und wirksam. Dass Kreuzenstein nach wie vor
als » authentische « Evokation einer mittelalterlichen Burg rezi
piert wird, zeigt sich auch im medialen Eigenleben, das der Bau
als Kulisse internationaler Filmproduktionen entwickelt hat.
Wenn hier eine Burg des 19. Jahrhunderts wiederholt als » ech
ter « mittelalterlicher Bau auftritt, so wird abermals evident, dass
das heute verbreitete und tradierte populäre Mittelalterbild – re
flektiert nicht zuletzt in den hybriden Burgen und Schlössern der
Fantasy Literatur und ihren Verfilmungen – nach wie vor Vorstel
lungen entspricht, die bereits im 19. Jahrhundert geprägt wurden.
Weitgehend unbeachtet vom breiten Publikum, das bis heute
nur allzu gerne an der historischen » Aufführung « teilnimmt, be
herbergt Kreuzenstein aber auch die wohl umfangreichste, aller
dings nur unzureichend bekannte und kaum erforschte private
Sammlung von Kunst, Kunsthandwerk und kulturgeschichtli
chen Objekten des Mittelalters in Österreich. Da auch die vom
Sammler konzipierte Aufstellung und Anordnung der Objekte
zum Teil nach wie vor besteht, zählt Kreuzenstein zu den wenigen
Orten Europas, an denen eine bedeutende Privatsammlung des
19. Jahrhunderts in weitgehend ursprünglicher Aufstellung und
in einem eigens dafür errichteten Bauwerk erhalten geblieben ist.
Kreuzenstein ist also nicht nur Burg, Museum, Mausoleum
und Monument, sondern erschließt darüber hinaus die Kon
struktion moderner Mittelalterbilder – vom 19. Jahrhundert bis
in die ( populäre ) Gegenwartskultur. Kreuzenstein erweist sich
damit als das schillernde Produkt einer Epoche, die in vielerlei
Hinsicht Grundlagen für unsere heutige Kultur geliefert hat.
Trotz des ungewöhnlich hohen Bekanntheitsgrads als touris
tisches Ausflugsziel hat sich die kunsthistorische und kulturwis
senschaftliche Forschung zum 19. Jahrhundert außerhalb eines
kleinen spezialisierten Kreises nach wie vor keinen klaren Begriff
von Kreuzenstein gemacht. Die Ursachen dafür sind wohl in der
janusköpfigen Erscheinung des Objekts zu suchen : Für die tradi
tionelle Architekturgeschichtsschreibung lag Kreuzenstein als
Burg nicht nur fernab der für eine typengeschichtliche Sicht re
levanten » Bauaufgaben « der Epoche, sondern auch außerhalb der
herkömmlichen entwicklungsgeschichtlichen Perspektive auf
16 Zerlegung einer Zeitmaschine
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258