Seite - 30 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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quellenkundliche und literaturgeschichtliche Forschungen. Die
Objekte selbst wurden meist nur im Anlassfall – also bei bevorste
henden Restaurierungs oder anderen Baumaßnahmen – als histo
rische und baugeschichtliche Dokumente anerkannt und genauer
untersucht. Erst nach der Jahrhundertmitte lässt sich ein » Para
digmenwechsel « in der Forschung feststellen, indem das Sammeln
von Einzelbefunden in der Aufstellung von Typologien mündet.66
Nun erst entsteht ein durch historische Befunde gefestigtes Bild
der mittelalterlichen Burg – und damit letztlich auch ihr Idealbild.
Das vielzitierte und unerreichte Vorbild für eine systemati
sche Auseinandersetzung mit der Architektur des Mittelalters
war der » Dictionnaire raisonné de l’architecture française du Xie
au XVIe siècle « Eugène
Emmanuel Viollet le Ducs ( 1814 – 1879 ),
der zwischen 1854 und 1868 in zehn Bänden erschienen war und
der profanen Baukunst und insbesondere den Burgen und ande
ren Befestigungsbauten in ihren ursprünglichen funktionalen
Zusammenhängen größte Aufmerksamkeit entgegenbrachte.67
Das reich illustrierte Wörterbuch diente auch in der Praxis des
Burgenbaus als beliebtes Formenreservoire. Gerade die minuti
öse graphische Wiedergabe fortifikatorischer Bestandteile und
ihrer Funktionsweisen dürfte in vielen Fällen anregend gewirkt
haben. Auch Hans Graf Wilczek bediente sich bei Entwürfen für
Kreuzenstein nachweislich dieser Vorlagen.68 Parallel zur Her
ausgabe des » Dictionnaire « wurden auch Viollet le Ducs Restau
rierungen profaner Baudenkmale, allen voran die freie Ergänzung
der Befestigungsanlagen der Stadt Carcassonne und der ebenso
phantasievolle Wiederaufbau von Schloss Pierrefonds im Auftrag
Kaiser Napoleons III, im deutschen Sprachraum vorbildlich.69
In der Einleitung zu Georg Heinrich Krieg von Hochfeldens
» Geschichte der Militär Architektur in Deutschland « von 1859,
die als eine der ersten systematisch die Bauten selbst als Quel
len heranzog, heißt es, dass über den meisten Burgen » zur Zeit
noch kimmerische Finsterniss « laste, dass aber so mancher rätsel
hafte » altersgraue Thurm [ … ], über Alter und Herkommen ernst
lich befragt, werthvolle Aufschlüsse geben « würde.70 Zu den ers
ten historisch kritischen Schriften, die im deutschsprachigen
Raum ausgehend von einer gewissenhaften Beschreibung vor
handener Burgenbauten den Schritt hin zu allgemeinen Feststel
lungen über den Burgenbau wagten, zählt auch Johann Nepomuk
Coris Arbeit über » Bau und Einrichtung der Deutschen Burgen im
Mittelalter «, die 1874 in Linz erstmals erschien.71 1879 veröffent
lichte Alwin Schultz seine Schrift » Das höfische Leben zur Zeit
der Minnesänger «.72
Zu Versuchen, die Geschichte des Burgenbaus insgesamt zu
überblicken, kam es in den deutschsprachigen Ländern jedoch
30 Mittelalterbilder
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258