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aber doch ablesbaren und zugleich äußerst freien Ergänzungen
den Eindruck eines historisch gewachsenen Baukomplexes ver
mittelt, beweist nicht nur Wilczeks Intuition für die bildmäßige
Wirkung von Architektur, sondern auch sein Verständnis für den
großen Wert historischer Oberflächen. In Moosham spiegelt sich
aber auch eine sehr persönliche, unmittelbar aus der Praxis ge
wonnene Einstellung zur Denkmalpflege, die Wilczek 1908 in
seinen bis heute lesenswerten » Ansichten über Konservierung
und Restaurierung alter Kunstwerke « veröffentlichte.168 Er folgt
dabei im Wesentlichen den von Alois Riegl und Georg Dehio un
ter dem Schlagwort » Konservieren, nicht Restaurieren « durch
aus nicht im Gleichklang vorgegebenen Leitlinien der modernen
Denkmalpflege, macht aber gewichtige Ausnahmen geltend.169
Ganz nahe an Alois Riegls Definition des » Alterswerts «170 spricht
Wilczek davon, » daß das Alter den Reiz der Werke erhöht, daß
kein Kunstgegenstand in neuem Zustande den Zauber entfal
tet, den ihm das Alter verleiht, ich weiß, daß der Zahn der Zeit,
der ihn berührt, der größte unbewußte Künstler ist – aber doch
nur so lange, als er nicht vernichtet «.171 Das unbedingte Streben
nach Stileinheit verurteilte Wilczek zwar, sprach sich aber an
gesichts der damals aktuellen Debatte um die Rekonstruktion
des Riesentores von St. Stephan in Wien für eine Rekonstruk
tion des romanischen Zustands unter Preisgabe des gewachse
nen Erscheinungsbildes aus ;172 ein treffendes Beispiel für seine
keiner stringenten Theorie folgende denkmalpflegerische Hal
tung. Der Restaurator, so Wilczek, habe » nicht nur das richtige
Material in der richtigen Form an die richtige Stelle zu setzten, er
hat auch dem Steine und Holze Patina zu geben, die Farbentöne
symphonisch zusammenzustimmen und die Verbindungsstellen
unkenntlich zu machen. Freilich ist diese Aufgabe eine ungemein
schwierige, welche das feinste Kunstgefühl voraussetzt, sie ist
aber auch der besten Künstler würdig. «173
Wilczek hatte mehrmals Gelegenheit, einschlägige Restaurie
rungsprojekte durch seine Teilnahme in Kommissionen und be
ratenden Gremien zu beeinflussen. Aufmerksam beobachtete er
die von Wilhelm II. initiierten Restaurierungs und Wiederauf
baumaßnahmen an der Marienburg und der Hohkönigsburg, die
er gemeinsam mit ihm im April 1907 besichtigte.174 In den Au
gen des deutschen Kaisers war der Bauherr von Kreuzenstein als
Vertreter des Hochadels, Ausländer und Nichtfachmann offen
bar eine unbestechliche Autorität auf dem Gebiet des Burgen
baus, die zu Konsultationen herangezogen werden konnte. Der
Besuch Wilhelms II. in Kreuzenstein 1906 hatte die Wertschät
zung für die Leistungen Wilczeks offensichtlich gemacht.175 Im
Fall der Hohkönigsburg war die Situation allerdings vertrackt,
60 Mittelalterbilder
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258