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» Obgleich unsere historische Detailbildung bereits so weit
fortgeschritten ist, daß wir längst einzusehen gelernt haben, wie
unvollkommen die Befriedigung unseres Triebes nach anschauli
cher, kulturgeschichtlicher Erkenntnis ist, die uns das Stückwerk,
wie es restaurierte Burgen und Kirchen, Museumssammlungsob
jekte und dergleichen darbieten, zu vermitteln vermag, so hat die
Freude an solchen » lebenden Bildern « aus der Geschichte doch
noch immer ihre zahlreichen Anhänger. Die Objekte hiefür sind
hauptsächlich entweder in fortdauerndem Gebrauche erhaltene
Bauten, wie die mittelalterlichen Dome [ … ] oder aber Werke, die
aus ganz anderen Kulturvoraussetzungen als die modernen her
vorgegangen sind und schon aus diesem Grunde keine moder
nen Formen in sich aufnehmen können. Zu der letzteren Gat
tung zählen aber die Burgen. Daß gerade sie, trotz des starken
( allzustarken ) Stimmungseindruckes, den ihre Ruinen gewähren,
heute mit so viel Vorliebe der Wiederherstellung zugeführt wer
den, mag sich wenigstens zum Teile auch aus dem begreiflichen
Wunsche ihrer adeligen Besitzer erklären, in Erinnerung an den
Ursprung ihres Standes aus dem Waffenhandwerk mit den wehr
haften Burgen gewissermaßen ein Stück ihres eigenen vergan
genen Daseins wenigstens in der äußeren Form wieder aufleben
zu lassen. «193
Riegl rechnet hier nicht nur mit der Kulturgeschichte und
dem Vertrauen des Historismus in die Möglichkeit einer anschau
lichen Darstellung der Geschichte ab, sondern er erkennt und ver
spottet zugleich auch subtil die wiederaufgebauten oder ergänz
ten Burgen als » lebende Bilder « und damit als aristokratisches
Gesellschaftsspiel und Zeitvertreib – ein äußerst erhellender Ver
gleich, auf den im letzten Kapitel dieser Untersuchung noch zu
rückzukommen sein wird.194 Angesichts des Verlustes ihrer ur
sprünglichen Funktionen stellt Riegl überdies klar, dass die Burg
nur mehr » in der äußeren Form «, also als bloße Hülle, die eins
tige, in der Gegenwart aber ebenso fragwürdig gewordene Füh
rungsrolle des Adels in der Gesellschaft reflektiert. Schärfer und
zugleich eleganter könnte das Ende der Burgen des 19. Jahrhun
derts kaum beschrieben werden.
64 Mittelalterbilder
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258