Seite - 66 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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reuzenstein, dessen bauliche Gestalt und Ausstattung im
Mittelpunkt dieses Kapitels stehen, erschien den Zeitge
nossen um 1900 als » Idealbild einer Burg «, mit dem » ein ed
les Stück mittelalterlichen Lebens wieder erweckt « worden
sei.195 Mittelalter war mit einem Mal greifbare Realität: » Dem
unkundigen Wanderer will es scheinen, als stünde dort seit Jahr
hunderten ein Denkmal längst vergangener Zeit. Nichts ver
rät dem Auge, daß es ein Werk der Gegenwart ist, das dort mit
der Stimme längst versunkener Tage zu uns spricht, daß es nur
ein zu steinerner Wirklichkeit gewordener Traum ist, den ein
Grandseigneur aus dem Schutt einer verfallenen Ruine neu zum
Leben erstehen ließ. «196 Tonangebend bei diesem monumenta
len Versuch einer Rekonstruktion des längst Vergangenen war
ein Bauherr, der sich mit guten Gründen als » Kenner « der Mate
rie betrachten durfte.197 Kreuzenstein war kein nationales Pro
jekt, sondern das Privatvergnügen des Grafen Wilczek, der Spie
gel seines persönlichen Mittelalterbildes, über das schriftliche
Quellen allerdings nur unzulänglich Auskunft geben ; Andeutun
gen finden sich am ehesten in den » Erinnerungen eines Waffen
sammlers « von 1903, doch gehen diese über eine allgemeine –
und sehr verhaltene – Tendenz zur Idealisierung des zum Kampf
gerüsteten Ritters kaum hinaus ;198 der Bau selbst muss daher als
Dokument genügen.
Auch Wilczeks Mittelalterbild war freilich vom Geist der Zeit
stark geprägt, womit sich Kreuzenstein, wenn auch als Außen
seiter, in die Reihe der großen Burgenbauten des 19. Jahrhun
derts einfügt. Ihre solitäre Stellung erhält die Burg als öffentlich
zugängliches Museum eines auf das Mittelalter spezialisierten
Sammlers, zusammengefügt aus unzähligen Fragmenten ande
rer Bauten und dadurch ausgestattet mit der Aura des » Authenti
schen «. Dass sich der Bauherr hier auch zur letzten Ruhe betten
ließ, ist für einen Sammler, der stets die Nähe zu den Objekten sei
ner Sammlung suchte, keineswegs ungewöhnlich ; der Kontext, in
K
Wenn nicht anders angegeben, wurden sämtliche historische
Fotografien in diesem Kapitel von Wilhelm Burger aufgenommen.
66 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258