Seite - 74 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Bemerkenswert ist, dass Wien bei Wilczeks Käufen nur eine
untergeordnete Rolle spielte.250 In den Jahren zwischen 1860
und 1880 waren Triest, Venedig, Rom, Padua, Barcelona, Sevilla,
Madrid, Dijon, Straßburg, Köln, Frankfurt, Nürnberg, Salzburg
und Innsbruck die bevorzugten Erwerbungsorte.251 So entstand
eine Sammlung, die hinsichtlich der Provenienz ihrer Stücke alle
nationalen Grenzen sprengte – eine nationale Einengung stünde
auch der umfassenden Konzeption, die Wilczek mit Kreuzen
stein und seinen Sammlungen verfolgte, entgegen.252 Besonders
bemerkenswert ist, dass Wilczek seine Sammlungen bereits früh
historischen Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs und da
mit vielen nach herkömmlichem Verständnis marginalen Objek
ten öffnete.253
Wilczeks Sammlungen hatten kurz vor der Wende zum
20. Jahrhundert eine Fülle und Dichte erreicht, die es ermöglichte,
für die Ausstattung von Kreuzenstein aus einem riesigen Fundus
das jeweils Passende zu wählen. Die Kollektion war » so umfang
reich und zählt so viele Stücke von kulturgeschichtlicher Bedeu
tung, ja eine so stattliche Reihe von sehr seltenen Stücken, dass
selbst von öffentlichen Kunst und Kunstgewerbemuseen nur die
hervorragenderen damit verglichen werden können, wozu noch
als im besonderen wertvoll der Umstand kommt, dass die Samm
lung nur auf die mittelalterliche Kunst beschränkt blieb, also
auch vom wissenschaftlichen Standpunkte aus ein geschlosse
nes Ganzes bildet. «254 Über die Skulpturensammlung in Seebarn
heißt es : » Da stehen in langen Gängen rechts und links dicht an
einandergereiht mittelalterliche Schnitzbilder zu Hunderten auf
gestapelt, in mehrfachen Reihen übereinandergeschichtet bis zur
Decke hinan, mehrfach vor und hintereinander ; ein ganzes Mu
seum mittelalterlicher Schnitzerei vom ältesten Romanischen
an bis zu den letzten Ausläufen der Gothik, die mannigfachsten
kirchlichen Stoffe und Heiligenlegenden behandelnd, in jeder
Art Staffirung und Vergoldung, in jeder Grösse. Es dürfte dies die
reichste Sammlung dieser Art sein [ … ]. «255
Wenige Jahre später, im Jahr 1902, sollte es angesichts des
Umfangs der nach wie vor wachsenden Sammlungen notwendig
werden, mit dem Kunsthistoriker Alfred Walcher von Molthein
( 1867 – 1928 ), dem Bruder des seit 1895 auf Kreuzenstein ar
beitenden Architekten Humbert Walcher von Molthein, einen
Fachmann als Kustos einzustellen.256 Seine Aufgabe bestand vor
allem darin, das Inventar anzulegen und Wilczek bei seinen Rei
sen zu begleiten oder zu vertreten ; in manchen Fällen konnte
Walcher, der selbst sammelte, auch eigenmächtig – aber stets
nach Rücksprache – Ankäufe tätigen. Die Bauarbeiten waren zu
jener Zeit bereits weit gediehen und der Transport der Objekte
74 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258