Seite - 87 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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hatte, war noch zu erkennen. Dort suchte ich nach der alten Gruft,
es war aber keine vorhanden. Die Kreuzensteiner hatten sich an
derswo begraben lassen. «298 Es war also nicht zuletzt der mit Er
innerungen an die frühe Jugend verknüpfte » romantische « Aus
sichtspunkt, der den Ausschlag für die Wahl des Bauplatzes gab.
Zugleich war es Wilczek aber auch wichtig, die Ursprünge von
Kreuzenstein historisch möglichst weit zurückzuverfolgen ; den
Ringwall, der die Burg bis heute umgibt, datierte er gar in prähis
torische Zeit.299 Romantische Vorstellung und scheinbar objek
tive archäologisch
antiquarische Spurensuche gehören in Kreu
zenstein zusammen.
Das mittelalterliche » Grizzanestein « war im Jahr 1115 erst
mals urkundlich erwähnt worden, damals hatte die Burg im Be
sitz der Grafen von Formbach gestanden.300 Vom 13. bis ins frühe
17. Jahrhundert wurde Kreuzenstein als landesfürstliches Lehen
verwaltet und erst nach 1619 von Kaiser Ferdinand II. der Familie
der Grafen von Saint Hilaire in erblichen Besitz übergeben. Wäh
rend des Dreißigjährigen Krieges von schwedischen Truppen be
setzt und als Hauptquartier des Generals Lennart Torstenson
genutzt, wurde Kreuzenstein zu Verteidigungszwecken ausge
baut und schließlich 1645, beim Abzug der Schweden, gesprengt.
Ein Stich Georg Matthäus Vischers zeigt den verwahrlosten und
verlassenen Zustand der Burg zu Beginn der Siebzigerjahre des
17. Jahrhunderts. Im Jahr 1698 kam die Ruine schließlich durch
Heirat in den Besitz der Familie Wilczek und wurde – wie so
viele funktionslose Wehrbauten – zum Steinbruch für den Bau
neuer Gebäude : » Die herumliegenden Mauertrümmer dienten
den Bewohnern der nahen Dörfer als Baumaterial. Meine Vorfah
ren selbst bauten damit Meierhöfe und Granarien. Als schließ
lich Ruhe eintrat und Gras über die schweren Wunden gewach
sen war, ragten nur noch einige Mauerzacken und Pfeiler aus
den Trümmern. «301 Lange vor dem Entschluss zum Wiederauf
bau hatte sich auch Wilczek selbst an der Ruine schadlos gehalten,
als er zur angemessenen Ausschmückung des Bärenzwingers im
1863 eröffneten Tiergarten am Schüttel im Prater » ein Stück einer
alten Mauer mit einem Erker « abtragen und nach Wien bringen
ließ.302 Schon bei diesem Projekt spielten Authentizität des Ma
terials und die bildmäßige Wirkung der Architektur eine gewich
tige Rolle : Glaubt man dem offiziellen Führer durch den Tiergar
ten, so hätte der Landschaftsmaler Schrödl mit seinem Entwurf
für den Bärenzwinger gezeigt, » in welcher Weise eine Ruine ge
baut werden muss, wenn sie die vollständige Illusion einer Ruine
und nicht die eines Artefactes machen soll. «303
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das nur mäßig
pittoreske Kreuzenstein vor allem als Aussichtspunkt bekannt :
87Wiederaufbau
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258