Seite - 112 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Bild der Seite - 112 -
Text der Seite - 112 -
aber von mittelalterlichen Gebäuden stammt, deren Baumaterial
Wilczek erworben hatte. Im Bereich der Keller und Erdgeschoß
mauern ist an mehreren Stellen verputztes Mauerwerk sichtbar :
Es sind dies die bewusst sichtbar belassenen Reste der alten Burg
Kreuzenstein, die als Fundament für den Neubau dienten. Große
steinsichtige Mauerflächen bestimmen zusammen mit den ab
gewitterten, ebenfalls aus altem Material bestehenden Holzkon
struktionen und der ehemals historisch eingedeckten Dachland
schaft den Gesamteindruck.
An der Westseite werden unterschiedlich geformte Bauteile zu
einem veritablen Schaubild zusammengeführt, das bildmäßige
Komposition mit elaborierter Räumlichkeit verbindet. 〚 54 〛 Die
Trias von Kapelle, Glockenturm und Bergfried wird seitlich von
den niedrigeren Bauten des Nordwestturmes und des Torturmes
flankiert, die beiden Vorwerke links und rechts bilden das räum
liche Gelenk zur Wehrmauer im Vordergrund. Unterschiedli
che Baukörper werden hier zusammengestellt : Der kristallinen
Scharfkantigkeit des Nordwestturmes antwortet das vegetabile
Laubwerk des durchbrochenen Glockenturmes, dem monumen
talen Quader des Bergfrieds wird der Zylinder des Torturmes mit
seinem Spitzkegeldach gegenübergestellt. Diagonale Sequen
zen fassen die Komposition zusammen und gipfeln im Bergfried
als dem höchsten Punkt. Camillo Sitte empfand die Gesamtwir
kung als » höchst malerisch « und erinnerte sich lebhaft » an den in
der alten höfischen Dichtung ( Parsifal ) beliebten Vergleich, wo
nach stattliche schöne Burgen so aussehen, als ob hier Thurmsa
men aufgegangen wäre. «352 Hier zeige sich » strengste Einheit bei
möglichster Mannigfaltigkeit in so mustergültiger Weise verkör
pert, dass man bei der Analyse dieses architektonischen Meister
stückes allzugerne länger verweilen möchte. «353 Die » Deutsche
Bauzeitung « dagegen kritisierte 1917 wohl mit Blick auf die West
seite, dass » manches am Wiederaufbau in der Gruppierung und in
der Bildung einzelner Teile zu stark auf romantische Wirkung be
rechnet « sei und brachte damit eine vergleichsweise abgeklärte
Sicht auf die mittelalterliche Burg zum Ausdruck.354
Der dreiseitige, an den Ecken abgeflachte Nordwestturm mit
steilem Zeltdach und überdimensionalen Schornsteinen besitzt
durch seinen komplexen Aufbau – aus dem Dreieck des Grundris
ses schieben sich ein breiter, von einem Giebel bekrönter Vorbau,
ein Erker und ein Treppentürmchen hervor – skulpturale Quali
täten und trägt in seiner auffälligen bauplastischen Dekoration
die Wappen früherer Burgherren und Landesfürsten als Verweis
auf das alte Kreuzenstein und seine lange zurückreichende Ge
schichte.355 Das Zentrum der Westseite bildet die Giebelwand
112 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258