Seite - 114 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Eckquadern konturiertes Mauerwerk zum Teil » von einem am
Inn demolirten alten Thurm «360 stammt, ist mit sechzig Metern
die vertikale Dominante der gesamten Anlage. Auf leicht verzoÂ
gen quadratischem Grundriss errichtet, umfasst er im Inneren
sieben Stockwerke, die durch unterschiedlich gestaltete und unÂ
regelmäßig versetzte Fenster belichtet werden. Ein steinerner
Laufgang fĂĽhrt um das oberste TurmgeschoĂź, ĂĽber den Ecken sitÂ
zen – bereits im Bereich des Spitzwalmdaches – diagonal gestellte
Erkertürmchen. Sie lassen den Bergfried als Wiedergänger der
mittelalterlichen StadttĂĽrme von Korneuburg und PerchtoldsÂ
dorf erscheinen.361 Nach den vertikalen Akzenten von GlockenÂ
turm und Bergfried findet die Staffelung der Westseite gegen
SĂĽden mit dem runden Torturm, der den Eingang zur Burg beÂ
wacht und durch den umlaufenden Wehrgang und das Kegeldach
» im Stile und der Befestigungsart der maximilianischen Zeit geÂ
dacht «362 ist, einen Abschluss. Nicht um die Wirkung der zylindriÂ
schen Form des Turmkörpers zu brechen, sondern vielmehr um
sie durch Kontrastierung zu verstärken, sitzt im äuĂźersten BeÂ
reich der Rundung ein kleiner polygonaler Erker. Ăśber eine steiÂ
nerne BogenbrĂĽcke, die den stellenweise auĂźerordentlich tiefen,
heute zum Großteil mit Bäumen und Sträuchern bewachsenen
Burggraben ĂĽberspannt, gelangt der Besucher zu dem von der obÂ
ligaten Zugbrücke geschützten Tor. 〚 58, 59 〛 Das Steingewände
des groĂźen Burgtors und die eisenbeschlagene TĂĽr daneben beÂ
fanden sich ursprĂĽnglich auf einer nicht näher bezeichneten BurÂ
gruine der Familie Starhemberg bei Linz, das Fallgitter kam aus
Burg Strechau in der Obersteiermark nach Kreuzenstein.363 〚 60 〛
Ăśber dem groĂźen Tor ist ein aus Venedig stammendes Wappen
des Heiligen Römischen Reiches aus der Zeit Kaiser Maximilians
eingesetzt, die Pforte trägt jenes der Familie Wilczek.364 In der
heute leeren Nische links des Tores befand sich – als plastischer
Akzent in der ansonsten schmucklosen Wand – ein spätromaniÂ
sches Hochrelief mit der Mantelspende des hl. Martin, das aus der
Gegend von Bamberg stammte.365
Wie die Westseite, so erweckt auch die langgestreckte SĂĽdÂ
seite der Burg den Eindruck eines Bildes, einer auf eine beÂ
stimmte Schauseite hin orientierten Komposition – eine LesÂ
art, die durch Wilhelm Burgers Fotografien fraglos unterstrichen
wird. Die in der Höhe gestaffelten Trakte werden hier durch TorÂ
turm, Bergfried und halbrunden Turm eingefasst. 〚 1, 62 〛 Die fläÂ
chige Geschlossenheit des Mauerwerks, die in Kontrast zur vielÂ
fältig gebrochenen Westseite steht, erfährt durch den annähernd
mittig positionierten, monumentalen Söller eine Zäsur, die zuÂ
gleich – ähnlich wie das Kapellenfenster im Westen – das plasÂ
tisch räumliche Zentrum dieser Ansicht markiert 〚 61 〛. Wie ein
114 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258