Seite - 162 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Archivar angestellt wurde – ein Umstand, in dem einmal mehr das
Bemühen um umfassende Authentizität durch Faktizität der his
torischen Überlieferung in den schriftlichen Quellen zum Aus
druck kommt.461 Wie der Archivar die Geschichte des historischen
Kreuzenstein anhand der Quellen rekonstruiert, so schreibt er an
der Geschichte der neuen Burg weiter. Deutlich wird dies etwa im
Beitrag Johann Paukerts für den von Alfred Walcher von Molthein
1914 edierten Prachtband » Burg Kreuzenstein an der Donau «. Der
Archivar von Kreuzenstein behandelt die Geschichte der Burg vor
dem Beginn der Baumaßnahmen ausführlich, über den Neubau
selbst fällt aber kaum ein Wort. Durch die Verbindung der histo
rischen Darstellung mit den Fotografien der wiedererrichteten
Burg wird eine für die Wahrnehmung Kreuzensteins bis heute
prägende Kontinuität suggeriert, die den Wiederaufbau selbst
weitgehend ausblendet. Der Wiederaufbau der Burg ist dem His
toriker keine ausführliche Erwähnung wert, er setzt durch mate
rielle Faktizität des neu Gebauten die Geschichte gleichsam wie
der in ihr Recht.462
In den beiden Obergeschoßen des Gadem wurden die Samm
lungen des Bauherrn, anders als im Palas, in thematisch geschlos
sener Aufstellung präsentiert.463 Die über der Bibliothek im ers
ten Stock gelegenen Räume wurden beim Brand 1915 weitgehend
zerstört und anschließend stark vereinfacht wiederhergestellt ;
ihr ursprüngliches Erscheinungsbild ist in einigen wenigen Fo
tografien überliefert. Die » Kunstkammern «464 umfassten unter
anderem ein Musikzimmer mit mittelalterlichen Instrumenten
〚 113 〛, die Bilderkammer 〚 109 〛, ein Skulpturenzimmer, die Kleine
Bibliothek mit wertvollen Handschriften und die Holzschnittkam
mer mit den Sammlungen von Holzschnitten, Kupferstichen und
Exlibris mit einer mittelalterlichen Kupferstichpresse.465 Auch
eine Landsknechtstube und eine in der Nähe der Küche einge
richtete Alchemistenstube 〚 110 〛 wurden eingerichtet.466 Verbun
den waren diese Räume mit den 1915 ebenfalls zerstörten Ori
entalischen Kammern im zweiten Obergeschoß des Kaschauer
Gangs, die der Aufbewahrung der als äußerst kostbar bezeichne
ten Sammlung von orientalischem und ostasiatischem Kunstge
werbe dienten, die 1915 gleichfalls verbrannte.467 〚 112 〛 Wie die
Ausstattung der Herrenstube, so machen auch die Orientalischen
Kammern deutlich, in welchem Ausmaß die Konzeption der In
terieurs in Kreuzenstein nicht nur mittelalterliche Lebenswel
ten rekonstruieren, sondern zugleich auch zeitgenössische Woh
nentwürfe widerspiegeln : Auch und gerade im 19. Jahrhundert
waren orientalische Zimmer, in einer bis in die Frühe Neuzeit zu
rückreichenden Tradition » exotischer « Kabinette, zumeist vom
oder für den Hausherren eingerichtet, Bestandteil der adeligen
162 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258