Seite - 179 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Bild der Seite - 179 -
Text der Seite - 179 -
erhalten sie durch ein bestimmtes ästhetisches Interesse und in
Hinblick auf ihren kĂĽnftigen Kontext – vielleicht konträr zu ihÂ
rer ursprĂĽnglichen Bestimmung.
Auch das Verfahren, mit dem die » alten Objekte « in ihrem
neuen Kontext versammelt werden, lässt sich durchaus mit den
ebenfalls traditionell der Avantgarde zuzurechnenden TechniÂ
ken der Collage oder Assemblage – zumindest metaphorisch – in
Verbindung bringen, wie dies Peter Klaus Schuster am Beispiel
der » Epochenräume « des 1904 eröffneten Berliner Kaiser FriedÂ
rich Museums versucht hat, die wiederum nicht zufällig an zeitÂ
genössische Sammler Interieurs erinnern.538 Die Voraussetzung
fĂĽr diese Techniken liegen im Bewusstsein von – kultureller, reÂ
ligiöser, ästhetischer, historischer etc. – Fragmentierung, wie sie
die Wahrnehmung der Moderne prägt ; in der mentalen VerfĂĽgÂ
barkeit einer schier unendlichen FĂĽlle disparater, voneinander
getrennter Objekte, aber auch im ästhetischen Interesse an ihÂ
ren unterschiedlichen Daseinsformen und dem BedĂĽrfnis, eine
bestimmte Auswahl oder Teile dieser Objekte zusammenzufĂĽgen,
gegeneinander zu kontrastieren, und durch die spezifische Form
dieser Versammlung eine bestimmte kĂĽnstlerische Position zu
artikulieren. In diesem Sinn ist auch Kreuzenstein eine riesige
Collage historischer Fragmente. Doch anders als bei der avantgarÂ
distischen Handhabung dieser Techniken ging es dabei keinesÂ
wegs um das Aufzeigen von BrĂĽchen und Dissonanzen, sondern
vielmehr um Harmonisierung.539
Auch wenn in Kreuzenstein Spolien als solche deutlich kenntÂ
lich gemacht sind, sollte in der Zusammenstellung nicht das AnÂ
dersartige, Fremdartige, Rätselhafte dieser Objekte betont werÂ
den, sondern die homogene historische Erzählung. Alle Objekte
erhalten ihren Platz und eine – wenn auch virtuelle – Funktion ;
aus den materiellen TrĂĽmmern der Geschichte wird in KreuzenÂ
stein eine künstliche Welt neu geschaffen, das Zerstörte wieder
zusammengefĂĽgt, das Verlorene wiederhergestellt. Und denÂ
noch : Der Versuch, aus einzelnen Objekten neue Einheiten zuÂ
sammenzustellen, ist Ausdruck einer intensiven Hinwendung
zu den außergewöhnlichen ebenso wie den alltäglichen Dingen.
Dieses Interesse bestimmt auch noch die Auseinandersetzung
mit dem Objekt in der Avantgarde des 20. Jahrhunderts : AussaÂ
gekraft, Wert und physische Integrität der Objekte wurden nun
aber radikaler als je zuvor in Frage gestellt. Besteht in KreuzenÂ
stein der Wunsch, Fragmentierung durch Rekonstruktion aufzuÂ
wiegen, so wird das Objekt im 20. Jahrhundert, auch in Reaktion
auf die Dingwelten des 19. Jahrhunderts, zum surrealen RätselÂ
ding, das sich jeder Einordnung in traditionelle historische, funkÂ
tionale oder ästhetische Deutungsmuster entzieht.
179Objet
ancien und Objet trouvé
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258