Seite - 181 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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sie durch ihr Auftauchen auf der Baustelle bestehende Planungen
in Frage stellen. 〚 66 〛 Ihre Präsenz war also zu keinem Zeitpunkt
von untergeordneter Bedeutung, sondern von Beginn an formal
und inhaltlich konstitutiv. FĂĽr das von Wilczek betriebene, mitÂ
unter beinahe maĂźlos anmutende Ansammeln historischer FragÂ
mente war der Wiederaufbau von Kreuzenstein sicherlich der unÂ
mittelbare Auslöser, die tiefere Motivation ist aber im größeren
Zusammenhang seiner Sammlungen zu suchen.
Damit der Neubau die authentische materielle » Spur « der SpoÂ
lie aufnehmen und verarbeiten kann, muss sie als altes Objekt bis
zu einem gewissen Grad erkennbar bleiben. Besonders deutlich
wird dies am Söller, der nicht zufällig charakteristische Elemente
der Fassade von San Marco in Venedig zitiert – eines Bauwerks,
das seine Wirkung zu einem nicht geringen Anteil aus dem proÂ
minenten Einsatz von Spolien bezieht. 〚 61 〛 FigĂĽrliche und orÂ
namentale romanische Reliefs unterschiedlicher Größe sind in
regelmäßigen Abständen über eine Wandfläche verteilt, die im
Vergleich mit den übrigen Außenmauern der Burg eine auffällige
Glätte und Homogenität besitzt, um die hier eingesetzten FragÂ
mente entsprechend zur Geltung lassen zu kommen. Auch an der
Loggia im Hof kann diese GegenĂĽberstellung von älterem, verÂ
wittertem, mit plastischen Qualitäten ausgestattetem Material
und der glatten Wand, die primär als neutraler Träger dient, beÂ
obachtet werden. 〚 67 〛 Ähnliches ist auch beim Umgang mit den
Resten der mittelalterlichen Burg festzustellen, die beim WieÂ
deraufbau deutlich sichtbar belassen wurden. Auch hier wird
die Kontrastwirkung unterschiedlicher Formen und OberfläÂ
chen eingesetzt, wenn dem unregelmäßigen, verputzten MauÂ
erwerk der Ruine die regelmäßigen, unverputzten Steinmauern
des Neubaus gegenĂĽbergestellt werden. 〚 63 〛 Es handelt sich daÂ
bei genau genommen allerdings nicht um ( translozierte ) Spolien,
sondern um Fragmente und alte Objekte, denen als vor Ort erhalÂ
tene Reste des alten Kreuzenstein in besonderem MaĂźe die Rolle
der historischen Spur zukommt – ebenso wie sie durch ihre maÂ
terielle und formale Andersartigkeit entlang einer durchgehenÂ
den Bruchlinie die historische Zäsur zwischen Ruine und WieÂ
deraufbau markieren.
Eine andere Vorgangsweise besteht darin, das Fragment, das
alte Objekt oder die Spolie soweit dem Neubau zu integrieren,
dass die Authentizität auf das gesamte Bauwerk ausstrahlen
kann : » Getreu meinen Prinzipien war ich bemüht, alles, was ich
an Holz, Stein und Eisen zur Gestaltung der Burg fĂĽgte, mit dem
alten Geräte, das ich zusammengebracht hatte, für das Auge zu
stimmen wie die Farben in einem alten Bilde «,542 schreibt der
Bauherr über Kreuzenstein. Dieses » alte Bild « entsteht vor allem
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und Authentizität
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258