Seite - 194 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Gebäudes im neuen Kontext anwesend. Die unzähligen Kopien
und Fälschungen zerstörter historischer Bauten, mit denen in
den letzten Jahren und Jahrzehnten versucht wird, Wunden des
Krieges und der Nachkriegszeit in Köpfen und » Stadtbildern « zu
schließen, können dagegen im besten Fall bildhaften Ersatz für
das Verlorene bieten, selbst wenn beim Wiederaufbau originale
Fragmente integriert werden. Während die Spolie durch die Tex
tur ihrer Oberfläche die Spuren ihres Alters vermittelte, gehen
von den glatten Profilen der Rekonstruktionen keine derartigen
optischen und haptischen Reize mehr aus. Der Glaube und die
Zuversicht, durch die bloße Reproduktion des dereinst Vorhan
denen dieses selbst auch wiederherzustellen, beruht auf einem
fatalen Trugschluss, dessen kulturelle Konsequenzen noch nicht
abzusehen sind. Denn es besteht die Möglichkeit, dass durch die
überhandnehmenden Rekonstruktionen zerstörter Bauten, die
letztlich doch nur Schatten, Schemen des einst Gewesenen sein
können, der Bezug zur materiellen » Authentizität « und » Greif
barkeit « von Geschichte, der in der Spolie auf einzigartige Weise
eingeschlossen ist, gänzlich aufgehoben wird und schließlich ver
loren geht. Mit dem Verlust jeglicher kritischer Distanz zur Ge
schichte, die sich hier ankündigt, geht allerdings auch die Fähig
keit verloren, sich ihr zu nähern.
194 Herrschaft der Dinge
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258