Seite - 213 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Filmbildern plastisch, greifbar, mit einer dem Filmbild adäquaten
Präsenz : Die Burg wirkt authentischer, mittelalterlicher, als in
der unmittelbaren Anschauung. Auf starke Kontraste sowohl in
der Gesamtkomposition als auch in der Behandlung der OberfläÂ
chen ausgerichtet und gleichsam von einer Fülle von » Zeichen «
geprägt, war die Architektur der Burg die ideale Folie filmischer
Handlung. Wie Filmblut, das für gewöhnlich ein stärkeres Rot als
in der Realität besitzt, so könnte man das Mittelalter von KreuÂ
zenstein ein bereits fĂĽr die spätere mediale Ăśbertragung verstärkÂ
tes Film Mittelalter nennen, dessen intensive physische Wirkung
auf der Leinwand bis auf ein dem Medium angemessenes MaĂź
diffundiert.
» Das Mittelalter auf der Leinwand «, so Hedwig Röckelein,
» entwirft ein idealisiertes, harmonisierendes Gegenbild zur GeÂ
genwart, eine rückwärtsgewandte Utopie [ … ]. Es lässt die Trauer
ĂĽber den Verlust der verlorenen Welt ebenso zu wie den Entwurf
einer Utopie als idealisierter Antipode zur säkularen Gesellschaft
[ … ]. «658 Hier lässt sich eine unmittelbare Verbindungslinie zur
Mittelalterrezeption des 19. Jahrhunderts ziehen, die ihrerseits
starke retrospektiv utopische Elemente beinhaltete. Es ist also
naheliegend, dass sich die filmische Bearbeitung des Mittelalters
nicht tatsächlicher mittelalterlicher Architektur als Kulisse beÂ
dient, sondern eines Bauwerks, das seinerseits » Attrappe « ist, wie
Kreuzenstein bereits 1906 genannt wurde.659
In der semiotischen Lesart von François de la Bretèque beÂ
dient sich der Mittelalterfilm bestimmter » Ikonogramme « – etwa
» Schwert «, » Rüstung «, » Zinne «, » Rundbogen «, » Spitzbogen « –
um bestimmte » Ideogramme « – z. B. » Kreuzzug « – zu erzeugen.660
Das reichliche Vorhandensein architektonischer » Ikonogramme «,
die in einer möglichst breiten Ăśbereinkunft Mittelalter vorstellÂ
bar machen, prädestiniert Kreuzenstein als Kulisse im zeitgeÂ
nössischen Mittelalterfilm. Dabei lässt sich beobachten, dass die
zusätzliche Verfremdung des vor Ort Vorhandenen durch den EinÂ
bau von Kulissen proportional zum Anspruch des Films auf histoÂ
rische » Authentizität « steigt. Am denkbar einfachsten wird das
Problem der Authentizität, das sich bei jedem Historienfilm stellt,
auch im konventionellen Mittelalterfilm in der Regel durch ein
Anhäufen möglichst vieler vermeintlich authentischer Dinge,
» archäologischer Realien «, gelöst. Authentizität wird also – wie in
Kreuzenstein – an der Oberfläche der Dinge fixiert : » Der › RealienÂ
fetischismus ‹ [ … ] ist die Achillessehne des historischen Spielfilms,
denn er führt weder zwangsläufig zu einer Objektivierung des
Dargestellten, zu einem höheren Grad an › historischer Wahrheit ‹,
noch lässt er sich auf allen Ebenen realisieren. «661Avanciertere
Historienfilme versuchen dagegen, Authentizität metaphorisch
213Film
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258