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Kultur, Öffentlichkeit und Politik | 35
Minderheiten Gehör verschaffen? Wie kann ihre Einflussnahme auf Anliegen,
die sie betreffen, sichergestellt werden?
Für Hannah Arendt ist Politik analog zur Bewegungsfreiheit, sei es als „die
Freiheit, fortzugehen und etwas Neues und Unerhörtes zu beginnen, oder sei es
als die Freiheit, mit den Vielen redend zu verkehren und das Viele zu erfahren,
das in seiner Totalität jeweils die Welt ist“ (Arendt, 2003: S. 52). Es geht primär
um Bewegungs- und damit Handlungsmöglichkeiten als einen Austauschprozess
von Meinungen und Perspektiven. Diese kommunikativen Prozesse sind als be-
wegliche, kontingente Prozesse zu verstehen, deren Ablauf und Ausgang unge-
wiss ist, aber nicht zufällig. Ein sozialer Tatbestand wie etwa Ungleichheit hat
Gründe, aber keine notwendigen Gründe, sondern Gründe, die in den kontingen-
ten Machtverhältnissen liegen:
„Die sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Gründe, die zum Beispiel für eine be-
stimmte Einkommensverteilung verantwortlich sind, könnten verändert zu einer anderen
Verteilungskurve führen. Wenn sie jedoch in einer gegebenen Situation nicht beliebig ver-
ändert werden können, dann aufgrund der Kräfteverhältnisse, die ihrer Veränderung Gren-
zen setzen“ (Marchart, 2013: S. 33).
Kultur ist nach Clifford Geertz „deshalb öffentlich, weil Bedeutung öffentlich
ist“ (Geertz, 2003: S. 18). Allerdings muss diese Öffentlichkeit kommunikativ
erzeugt werden. Kultur konstituiert die kommunikative Öffentlichkeit in einem
von dem Sozial- und Kulturanthropologen Arjun Appadurai beschriebenen und
angesichts der globalen Vernetzung wachsenden „ethno-scape“. Bei der Öffent-
lichkeit handelt es sich somit nicht um einen Raum, sondern „um eine Kette
kommunikativer Praktiken, die Querbezüge herstellen“ (Langenohl, 2015:
S. 107). Öffentliche Räume werden über Bedeutungszusammenhänge, über Kul-
tur erzeugt. Kultur ist damit ein öffentliches und politisches Projekt, das laufend
erzeugt, kritisiert, verhandelt, verworfen, vergessen, neu entdeckt, verändert
wird. Räume, in denen Kultur stattfindet, sind somit im weitesten Sinn politische
Räume. Nicht nur, weil sie von administrativer Macht eingeschränkt zu werden
drohen und sich dieser entgegensetzen müssen, um die freie öffentliche Mei-
nungsäußerung als kulturelle Praktik und als Element kritischer Kunstproduktion
vor Übergriffen der Administration und politischen Interessen zu verteidigen.
Sondern auch, weil sie Orte der politics, Schauplätze der Kommunikation, der
Auseinandersetzung, des Diskurses bzw. der Deliberation als Verhandlungsde-
mokratie nach Habermas sind und damit eine demokratiepolitische Funktion ha-
ben.
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293