Page - 39 - in Cultural Governance in Österreich - Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
Image of the Page - 39 -
Text of the Page - 39 -
Kultur, Öffentlichkeit und Politik | 39
Perspektive werden „wesentliche politische Entscheidungen nicht mit Stimmen-
mehrheit, sondern auf dem Wege von Aushandlungsprozessen getroffen“ (Cza-
da, 2003: S. 45). Kultur, Demokratie, Governance, Werte, die normativen Inhalte
dieser Konzepte sind damit innerhalb der Grenzen des Rechts und der Verfas-
sung grundsätzlich umstritten und damit kritisier- und verhandelbar.
Die normativ gerahmte implizite Aufforderung zur Verhandlung des öffent-
lichen Gegenstands Kultur in Demokratien bildet aufgrund der ideologischen be-
ziehungsweise wertehaltigen Prägung des Kulturellen ein schwieriges Terrain.
Es berührt sowohl Dimensionen von unteilbaren Konflikten (Hirschmann, 1994:
S. 302) wie Werte- und Identitätskonflikten, als auch von teilbaren Konflikten,
etwa Verteilungskonflikten des „Mehr-oder-Weniger“ (ibd. S. 302)). Beide Di-
mensionen sind nicht trennscharf voneinander abgrenzbar, da Entscheidungen im
Kulturbereich unterschiedlich rationalisiert bzw. bewertet werden, anhand öko-
nomischer, normativer, ästhetischer Kriterien (Abfalter, 2010). Diese unter-
schiedlichen Werte werden jedoch in Entscheidungsprozessen strukturiert bzw.
hierarchisiert. Dabei unterscheidet Hannah Arendt zwischen dem Urteilen auf
der Basis von Vor-Urteilen, bei denen „weder der Maßstab selbst noch seine
Angemessenheit für das zu Messende“ (Arendt, 2003: S. 20) hinterfragt werden.
Aus Sicht der Standpunkttheorie übernehmen Ideologien in ihrem übergeordne-
ten universalistischen Geltungsanspruch diese Funktion und legitimieren somit
systemische Ungleichheiten (Hawkesworth, 2016: S. 354). Geld gilt als Maßstab
für ökonomische Werturteile, Gesetze gelten als Maßstab für Rechtsurteile. Äs-
thetische Urteile sind laut Hannah Arendt, die auf Kant verweist, maßstabslos
(Arendt, 2003: S. 20). Allerdings gibt es einen ästhetischen Diskurs, in dem über
Konventionen entschieden wird, es gibt eine richtige und eine falsche Perspekti-
ve in der Malerei, es gibt Regeln der Rechtschreibung usw. Für Urteile über
sinnliche Wahrnehmungen fehlen uns jedoch oft die Begriffe.
Indem Wahrheitskonstrukte im demokratischen politischen Aushandlungs-
prozess als partikuläre Interessen bzw. Meinungen enttarnt werden können, wer-
den sie verhandelbar. Urteilen beinhaltet also einerseits die Fähigkeit, zu ordnen
und zu subsumieren (wobei die Prämissen des Messens und Ordnens nicht in
Frage gestellt werden), und andererseits die Fähigkeit, zu unterscheiden. Diese
Kritikfähigkeit setzt die Öffentlichkeit von Verhandlungen voraus und verlangt
individuellen und kollektiven AkteurInnen die Fähigkeit ab, eine Meinung nicht
nur zu übernehmen, sondern auch zwischen unterschiedlichen Meinungen zu un-
terscheiden, andere Perspektiven einzunehmen und sich so eine Meinung zu bil-
den.
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293