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46 | Cultural Governance in Österreich
vanni Sartori spricht von einem „verworrenen Konzept“ (Sartori, 2006: S. 11).
Dennoch ist der Demokratiebegriff nicht beliebig, sondern ein symbolisch-
interaktiver „Erfahrungsträger“ (Sartori, 2006: S. 262): wir sind als „historische
Experimentatoren“ (ibd.) zu „festen (nicht wackligen) Sprachkonventionen ge-
langt“ (ibd.), die unsere gegenwärtigen Versuche und Irrtümer mit dem Begriff
prägen.
Unsere Vorstellungen von Demokratie sind somit von unterschiedlichen Nar-
rativen als „verfestigte und ständig reproduzierte, dadurch erst stabilisierte Inter-
pretationen der Wirklichkeit“ (Llanque, 2014: S. 8) geprägt. Ein Narrativ ist et-
wa die idealistische Beschreibung von Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit als
Hüter der Freiheit und Solidarität, die einhergeht mit einer Kritik an Herr-
schaftsverhältnissen, an autoritären Entscheidungen von Politik und bürokrati-
schen Verwaltungsentscheidungen. Die öffentliche bzw. kollektive Wahrneh-
mung dieser Erfahrung kann in Protest oder in Enttäuschung und Rückzug ins
Private münden.
Giovanni Sartori spricht von der „Erschöpfung der Ideale“ (Sartori, 2006:
S. 471) als „Krise der Ethik“. Er vertritt hier ein pessimistisches Narrativ der
Moderne, die er als ursächlich für ein Demokratiedefizit bzw. die Krise der libe-
ralen Demokratie ansieht (ibd., S. 477). In der utilitaristischen Tradition er-
scheint der Mensch als rational kalkulierende/r EgoistIn (ibd., S. 475), für den es
sich nicht immer lohnt, sich als BürgerIn zu engagieren, sich am Gemeinwohl
aktiv zu beteiligen, Steuern zu zahlen, ein Ehrenamt zu übernehmen, zur Wahl
zu gehen, sondern der danach strebt, das eigene Leben (allenfalls noch das nahe-
stehender Personen) in der Gegenwart zu optimieren, auch wenn dies mit Aus-
beutung anderer Menschen und Ressourcen verbunden ist.
Ein optimistischer bzw. aktivistischer Narrativ verweist dagegen auf den
Menschen als ethisch geleitetes, loyales, verantwortliches, kooperatives, soziales
und zukunftsgewandtes Wesen. Aufrufe wie „Empört euch!“ des ehemaligen
französischen Widerstandskämpfers und UN-Diplomaten Stéphane Hessel, Be-
wegungen wie die der Indignados oder Occupy Wall Street, Bürgerproteste ge-
gen das Bauprojekt Stuttgart 21, gegen den politischen Umgang mit der griechi-
schen Schuldenkrise oder gegen die Transpazifische Partnerschaft (TTP) richten
sich gegen politische Entscheidungen, die von BürgerInnen auch deshalb kriti-
siert werden, weil sie nicht öffentlich-deliberativ, das heißt unter Einbezug der
Betroffenen verhandelt wurden, sondern autoritär getroffen wurden.
VertreterInnen der demokratischen Revitalisierung wie Klaus Leggewie und
Patrizia Nanz forschen entsprechend zu Möglichkeiten, die demokratischen In-
stitutionen neu zu beleben beziehungsweise zu reformieren (Leggewie, Nanz,
2016). Vor dem Hintergrund einer Krise der Parteien und großer traditioneller
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293