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60 | Cultural Governance in Österreich
In der Interpretation Jürgen Habermas’ soll sich die administrative Macht
„nicht selbst reproduzieren, sondern allein aus der Umwandlung kommunikati-
ver Macht regenerieren dürfen“ (Habermas, 1992: S. 187). Dieser Transfer soll
über den Rechtsstaat reguliert werden:
„Soziologisch gesehen, beleuchtet die Idee des Rechtsstaats nur den politischen Aspekt
der Herstellung der Balance zwischen den drei Gewalten der gesamtgesellschaftlichen In-
tegration: Geld, administrative Macht und Solidarität“ (ibd.)
Nach Jürgen Habermas gehört die politische Rhetorik zu den strategischen
Handlungen, die nicht zum Zweck der Verständigung, sondern zum Zweck der
Einflussnahme eingesetzt werden (Habermas, 1981; Leguizamón, 2009: S. 48).
Es handelt sich dabei nicht um ein rein subjektives Nutzenkalkül (was in einer
als sozial konstruiert aufgefassten Realität per se nicht möglich ist), sondern um
eine auf Überzeugung gerichtete
„[...] persuasive Handlungsorientierung. Die Entscheidung fällt also für diejenige Hand-
lungsalternative, für die sich innerhalb des Wissensystems des Akteurs die größte argu-
mentativ-rhetorische Stützungsleistung mobilisieren lässt.“ (Münch, 2015: S. 136)
Dabei geht es, wie sich mit Bezug auf die aristotelische Rhetorik beschreiben
lässt, nicht nur um das Abwägen von Argumenten auf kognitiv-rationaler Ver-
standesebene (Logos) und die Glaubwürdigkeit (Ethos) der RednerIn, sondern
auch (man könnte argumentieren, vor allem) um das Überzeugen durch Leiden-
schaft und Erfahrung (Pathos), um die ZuhörerInnenschaft zu bewegen – inklu-
sive sinnlich-haptischem, ästhetischem Material (Daten, Bilder, Videos, Musik,
Raum, Licht), Stimme, Lautstärke, Körpersprache. Emotionen, die so erzeugt
werden, sind dann unmittelbarer Ausdruck kinetischer Energie, sie bewegen zu
Aktion, zu Engagement, zu Entscheidungen (Tröndle, 2006: S. 72) und können
Kollektivierungen veranlassen.
Eine Kritik an der deliberativen beziehungsweise argumentativen Demokra-
tietheorie richtet sich genau darauf, dass Emotionen in Aushandlungsprozessen
und insbesondere in der Mobilisierung von sozialen Bewegungen und Entwick-
lung von bürgerschaftlichem Protest nicht ausreichend berücksichtigt werden
(Goodwin u.a., 2001). Oliver Marchart bezeichnet Kollektivierung als „Verket-
tung oder Verstärkung singulärer Affektionen“ (Marchart, 2013: S. 444). Gerade
im Bereich der Kulturpolitik als werthaltiger und ideologisch geprägter Politik
erscheint eine Aufmerksamkeit auf negative, indifferente oder positive Emotio-
nen in Aushandlungsprozessen als sehr relevant (Tröndle, 2006: S. 69-75), aber
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293