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68 | Cultural Governance in Österreich
Umgekehrt erfasst eine politische Theorie, die nur die Lebenswelt und nicht
das politische System, die Arbeit der Politik betrachtet, das zweckrationale Han-
deln nicht. Für zweckrationales Handeln sind nicht nur „konsensuelle Normen
einer gemeinsamen Tradition, sondern die Standards technischer Angemessen-
heit“ (McCarthy, 1989: S. 42) als „Kriterien einer effizienten Organisation von
Mitteln zur Realisierung von Werten, die nicht kommunikativ zur Geltung ge-
bracht werden“ (ibd.), entscheidend. Der Habermas-Interpret Thomas McCarthy
betont auch: Solange der Sozialisationsprozess an einen Wahrheitsanspruch von
Aussagen sowie an die Rechtfertigung von Normen gebunden ist, kann die Ver-
gegenständlichung von Menschen nicht total sein. Damit treten Fragen der Ab-
stufung (in welchem Maße sind menschliche Beziehungen durch technische
Kontrolle, in welchem Maße durch wechselseitige Anerkennung und die Mög-
lichkeit zum Dialog strukturiert) in den Vordergrund. Dies basiert auf Habermas’
Axiom, dass Menschen als Subjekte grundsätzlich ein Vermögen für kommuni-
kative Beziehungen behalten (ibd.).
3.2.3 Luc Boltanski und Laurent Thévenot:
Rechtfertigungsordnungen als „Welten“
Hannah Arendt spricht von Vorurteilen, die sich „auf ein man sagt, man meint
berufen“. Weil Vorurteile nach Arendt „nicht personal gebunden sind“, können
sie „sehr leicht auf Zustimmung durch Andere rechnen, ohne daß sie die An-
strengung der Überzeugung auf sich nehmen müßten. Darin unterscheidet sich
das Vorurteil vom Urteil [...]“ (Arendt, 2003: S. 18). Die Funktion des Vorurteils
ist es, „den urteilenden Menschen davor zu bewahren, jedem Wirklichen, das
ihm begegnet, offen sich zu exponieren und denkend gegenübertreten zu müs-
sen“ (Arendt, 2006: S. 56). In der Hermeneutik Heideggers ist ein Vorurteil kein
negativer Wertbegriff, sondern meint epistemische Inhalte/Überzeugungen, die
unseren Urteilen vorangehen. Weltanschauungen und Ideologien erfüllen in ih-
rem Universalitätsanspruch diese Aufgabe. Entscheidend sind hier der Geltungs-
anspruch und der Kontext, in dem dieser geäußert wird: Der Konflikt zwischen
Politik und Wahrheit beruht darauf, dass Politik auf dem Streit der Meinungen
basiert. Wahrheiten, die einen allgemeinen, universalen Gültigkeitsanspruch stel-
len, schließen hingegen Debatten aus (Arendt, 2016: S. 61).
„Der Philosoph, der in die Öffentlichkeit eingreifen will, ist kein Philosoph mehr, sondern
ein Politiker; er will nicht mehr nur Wahrheit, sondern Macht.“ (Arendt, 2016: S. 57)
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293