Page - 69 - in Cultural Governance in Österreich - Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
Image of the Page - 69 -
Text of the Page - 69 -
Theoretische Situierung | 69
Ein Konflikt entsteht somit, wenn AkteurInnen die Welt, innerhalb derer die
Tatbestände, auf die sie sich beziehen, integer sind, verlassen. Luc Boltanski und
Laurent Thévenot lösen diesen Konflikt zwischen dem Streben nach Wahrheit
(Wissenschaft) und dem Streben nach Macht (Politik) bzw. zwischen unter-
schiedlichen, in sich stimmigen Formen von Rationalität oder Legitimität, indem
in ihrem Theoriemodell die Maßstäbe „des Wissenschaftlers oder des Techni-
kers, denen angeblich das Privileg der objektiven Erfassung der Wirklichkeit zu-
kommt“ (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 66), nicht als universalistisch angesehen
werden. Jede Welt „hat ihre Objekte, die sich für Prüfungen heranziehen lassen“
(ibd.). Spannungen zwischen „Vernunft und Praxis, zwischen Allgemeinheit und
Kontingenz oder zwischen Gerechtigkeit und Billigkeit“ (ibd., S. 67), zwischen
unterschiedlichen Meinungen, machen das politische Wesen, den demokrati-
schen Aushandlungsprozess aus. Politik bzw. Governance als Steuerungshandeln
darf damit nicht als ein utilitaristisches Kalkül eines „who gets what, when and
how“ (so der Titel eines Werks des amerikanischen Politikwissenschaftlers
Harold D. Lasswell (1936)) oder eine, wie Hannah Arendt schreibt, „verhäng-
nisvolle Reduktion des Politischen auf schiere Verwaltung“ missverstanden
werden (Arendt, 2016: S. 91).
In Argumentationen gehen unterschiedliche Logiken bzw. Rechtfertigungen
oft miteinander einher, wenn beispielsweise argumentiert wird, dass Kultur ein
Mittel für ökonomisches Wachstum, ein Instrument für den Wandel von Städten,
ein Werkzeug für Integration und eine Säule der europäischen Identität sei
(Culture Action Europe, 2016a). Unterschiedliche Logiken, Ordnungen, „Wel-
ten“ (Boltanski, Thévenot, 2014) werden in die Argumentation einbezogen, um
auf möglichst breiter Basis zu überzeugen. Geteilte Werte anzusprechen ist dabei
im politischen Handeln eine bewährte Strategie (Duffy, Thorson, 2016; Majone,
1989), um eine Zustimmungsbereitschaft zu generieren. Der polysemantische
Charakter des Begriffs Wert (beziehungsweise Werte) umfasst sowohl die mora-
lisch-normative Bewertung als auch die ökonomische Kalkulation, ebenso wie
der englische Begriff der accountability sowohl die moralische Rechtfertigung
als auch die Buchhaltung meinen kann (Stark, 2000: S. 5). Eine statische Gegen-
überstellung von Effizienz gegenüber Legitimität fasst daher die Komplexität der
Entscheidungsprozesse nicht, in denen unterschiedliche Bewertungslogiken, bei
Boltanski und Thévenot als Rechtfertigungsordnungen gefasst, gleichzeitig prä-
sent sind.
Das von Boltanski und Thévenot auf Basis einer Analyse von Grundwerken
der politischen Philosophie und modernen Managementhandbüchern entwickelte
Kategoriensystem der Rechtfertigungsordnungen treibt die Analyse voran, in-
dem empirisch generierte Daten mit konstitutiven Rechtfertigungsordnungen
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293