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70 | Cultural Governance in Österreich
verglichen werden. Die Ökonomien der Größe (der englische Subtitel lautet:
„Economies of Worth“ (Boltanski, Thévenot, 2006), der französische „les éco-
nomies de la grandeur“ (Boltanski, Thévenot, 1991)) entsprechen auf Deutsch
am ehesten dem Konzept von Ökonomien der Wertigkeiten bzw. Bedeutungen
(Thévenot, 2010: N. 13). Diese Rechtfertigungsordnungen werden als „Welten“
bezeichnet.1
Luc Boltanski und Laurént Thevenot schließen an Jürgen Habermas in ihrem
Fokus auf die moralisch-normativ gefasste Rechtfertigung an. „Welten“ stehen
bei ihnen für Rechtfertigungsordnungen (Boltanski, Thévenot, 2014) und sind
somit weniger sozial als objektbezogen gefasst. Soziales Handeln ist demnach
die „Kunst, in verschiedenen Welten zu leben“ (Boltanski, Thévenot, 2014:
S. 206). Diese verschiedenen Welten nehmen in konkreten Situationen Gestalt
an, „die sich in ein und demselben Raum und mit denselben Personen abspielen“
(Boltanski, Thévenot, 2014: S. 213). Sie gehen im Vergleich zu Habermas einen
Schritt weiter und integrieren, was Habermas als strategisches Handeln fasst, in-
dem sie betonen, dass Rechtfertigungsordnungen (Konventionen, Legitimitäts-
prüfungen) nicht dem Kalkül (Effizienz) gegenüberstehen, sondern konstitutiv
für Evaluationen, Kalkulationen, Rationalitäten, Wertzuschreibungen sind.
Boltanski und Thévenot betrachten das Zustandekommen von Entscheidun-
gen aus sozialer, kultureller und ökonomischer Perspektive. Damit versuchen
sie, der Komplexität der Entscheidungsfindung gerecht zu werden (Böhle, 2009;
Sen, 1977). Ihr theoretischer Werkzeugkasten eignet sich damit insbesondere für
Analysen in der als Interdisziplin aufgefassten Kulturbetriebslehre (Zembylas,
2004). Als Prinzipien der Bewertung (Evaluation) umfassen Rechtfertigungsord-
nungen sowohl geteilte kulturelle Schemata (vergleichbar mit Habermas’ Le-
benswelt) als auch implizite Nutzenkalkulationen (das ökonomische Prinzip des
Werts/der Größe – the economies of worth bzw. économies de la grandeur). Un-
ter Bezugnahme auf implizite wie explizite Messinstrumente und legitime Arten
der Prüfung beziehungsweise Prinzipien der Zuordnung werden Ordnungen kon-
stituiert, Entscheidungen gerechtfertigt und kritisiert. Diese Zuordnungen umfas-
sen sowohl technische „Definitionen, die eine standardisierte Messung mittels
wissenschaftlicher Apparaturen beinhalten“, als auch subjektive Überzeugungen,
„die unter Einfluss der allgemeinen Meinung stehen, darüber hinaus eine Ge-
brauchsweise, „die sich durchsetzt, indem sie eine fest verwurzelte Tradition
1 2010 spricht Laurent Thévenot noch von „Konventionen“ anstelle von „Welten“, was
zur Bezeichnung „Soziologie bzw. Theorie der Konventionen“ als eine Richtung der
französischen Sozialwissenschaften geführt hat ȋ
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Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293