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Lokale Situierung | 93
Im Unterschied zu anderen liberalen Demokratien etwa der Vereinigten Staa-
ten von Amerika und Großbritannien kann daher in Österreich nicht von einem
Rückzug des Staats im Kulturbereich gesprochen werden, auch wenn die Ver-
waltungssprache sich soweit verändert hat, dass ökonomisch-managerielle Be-
grifflichkeiten dominieren. Im Gegenteil, durch die Ausgliederung staatlicher
Kulturbetriebe als Übertragung von Teilen staatlicher Leistungserstellung auf
private Rechtsträger tritt der Staat in unterschiedlichen Rollen als gemeinwohl-
und gemeinwirtschaftlich orientierter Akteur in Erscheinung.
Diese spannungsvollen Rollen werden normativ (im Hinblick auf das Gemein-
wesen und das öffentliche Interesse an Kultur) und ökonomisch legitimiert, denn
schließlich ist der Staat bzw. sind Bund, Länder und Kommunen Eigentümer
kultureller Unternehmen. Der Prozess der Ausgliederung staatlicher Kulturein-
richtungen in den 1990er Jahren hat also nicht zu einer Unabhängigkeit vom
Staat geführt, sondern den betroffenen Kulturbetrieben als wirtschaftlichen Ak-
teurInnen unter privatrechtlichen Bedingungen im Besitz der öffentlichen Hand
größere Handlungsspielräume gewährt (Tschmuck, 2008). Konkreter beschrei-
ben das Bundestheaterorganisationsgesetz aus 1998 und das Bundesmuseenge-
setz aus 2002 die kulturellen Aufgaben der Kultureinrichtungen in staatlichem
Eigentum und die staatliche Verpflichtung, diese bei der Erfüllung dieser Aufga-
ben zu unterstützen. Ähnliche Regelwerke wurden auch auf Landesebene erlas-
sen.
Artikel 15 der Bundesverfassung (BV-G) regelt die Beziehung zwischen
Bund und Ländern und die Souveränität der Bundesländer im Bereich des Kultu-
rellen, die sogenannte Kulturhoheit. Das BV-G weist den Gemeinden sowohl ei-
gene als auch übertragene Aufgaben zu. Auf Gemeindeebene fällt Kultur in den
autonomen, d.h. freiwilligen bzw. weisungsfreien Wirkungsbereich (Art. 118,
Abs. 2 BV-G). Die Gemeinden haben ihre Kulturbetriebe ebenfalls ausgegliedert
und begannen damit teilweise bereits vor dem Bund. Die 2004 gegründete Thea-
terholding Graz/Steiermark gehört zur Hälfte der Stadt Graz, zur Hälfte dem
Land Steiermark. Die Linzer Veranstaltungsgesellschaft LIVA wurde bereits
1971 gegründet und umfasst unter anderem Brucknerhaus, den Posthof sowie
das Kinderkulturzentrum Kuddelmuddel. Die Rolle des Staates als Fördergeber
für Projekte, Initiativen und Organisationen, die nicht in staatlichem Besitz sind,
erscheint aus dieser Perspektive nicht nur aufgrund der geringen finanziellen
Mittel, sondern auch aufgrund der schwachen privatrechtlich geregelten Bezie-
hung des Fördernehmers zum Staat und der schwachen normativen Legitimati-
onsbasis – die Qualität kultureller Produkte ist schließlich umstrittener Gegen-
stand individueller Beurteilung – als untergeordnet.
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293