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110 | Cultural Governance in Österreich
setzen, dass spezifische Ziele effizient erreicht werden (Zembylas, Tschmuck,
2006a: S. 9). Die Produktion, Verbreitung und Vermittlung kultureller Güter und
Dienstleistungen bezieht sich auf symbolische und materielle Einheiten, deren
Wert in impliziten (valuation) und expliziten (evaluation) Prozessen verhandelt
wird (Zembylas, 2004: S. 305ff.). Dies setzt einen soziokulturellen Verhand-
lungskontext, eine Kommunikationsstruktur voraus, die in der demokratietheore-
tischen Perspektive als Öffentlichkeit (Habermas, 1981) gefasst wird. Hier steht
nach Jürgen Habermas die Frage im Fokus, „wie soziale Integration auf der un-
wahrscheinlichen Basis von Verständigungsprozessen [...] möglich ist“ (Haber-
mas, 1992: S. 42).
Jürgen Habermas unterscheidet dabei zwischen administrativer Macht von
rechtlich regulierten Institutionen und sozialer Macht von großen Organisatio-
nen, Interessensgruppen, Experten und Autoritäten. Kommunikative Macht wird
demgegenüber in öffentlichen, gemeinsamen Meinungsbildungs- beziehungs-
weise Verständigungsprozessen erzeugt. Nach Habermas bildet sie ein Korrektiv
einerseits gegenüber einer Verselbstständigung von administrativem Handeln
(nach Regeln und Gesetzen) und andererseits gegenüber einer Transformation
von sozialer Macht in von Eigeninteresse geleitete illegitime Macht, die sozial
nicht akzeptiert wird (Habermas, 1992: S. 466). Eine Voraussetzung zur Bildung
kommunikativer Macht ist die grundsätzliche Verständigungsorientierung als ein
dem menschlichen Wesen innewohnendes Verstehen-Wollen. Verstehen-Wollen
(Interpretation) ist demnach nicht nur einer Forschungsmethode, sondern auch
eine sozialanthropologische Voraussetzung von gesellschaftlicher Interaktion.
Dies bedeutet nicht, dass Sprechakte immer auf bloße Verständigung zielen.
Strategische Formen der Kommunikation (wie lügen, täuschen, irreführen, mani-
pulieren) (McCarthy, 1989: S. 326) können als Teile einer menschlich-allzu-
menschlichen Wirklichkeit betrachtet werden, sie stören ein verständigungsori-
entiertes Handeln und sind spezifische Herrschaftstechniken. Wenn sie enttarnt
werden, haben sie jedoch auch eine wichtige Funktion, da sie für Kritik mobili-
sierend wirken. In einem dynamischen Vorgang wird eine gemeinsame Situati-
onsdefinition ausgehandelt. Der „Prozess der Verständigung unter dem dynami-
schen Aspekt der Herbeiführung eines Einverständnisses“, so Jürgen Habermas
(McCarthy, 1989: S. 329), der typischerweise in der „Grauzone zwischen Unver-
ständnis und Mißverständnis verläuft“ (ibd.), kann über eine interpretative Ana-
lyse partiell rekonstruiert werden.
Die Interpretative Policy-Analyse ist im Paradigma des Sozialkonstruktivismus
zu verorten. Sie grenzt sich von Ansätzen wie dem Institutionalismus, der Ratio-
nal-Choice-Theorie und dem Behaviourismus ab, die von einer objektiv be-
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293