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Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse | 213
auch die Frage nicht beantwortet werden, welches Ergebnis die Betroffenen als
gerecht empfinden würden (Rawls, 1975).
Die Verlagerung in die industrielle Welt ist ambivalent: Einerseits wird Exper-
tise zur Legitimierung der Entscheidungskompetenz herangezogen, andererseits
werden damit demokratische Aushandlungsprozesse vermieden. Auch die politi-
sche Verantwortung wird quasi delegiert, indem die PolitikerInnen sich auf Gut-
achten berufen. Kategorien eines „Kulturbereichs“, die Teuerung und Kürzun-
gen, die sich in Prozentsätzen ausdrückt, suggerieren ebenfalls einen sehr engen
Verhandlungsspielraum in einem rigiden, entmenschlichten System. Dabei wer-
den politische Entscheidungen in der Vergangenheit, die zum Entstehen dieser
Situation geführt haben (wie die hochriskanten Kreditgeschäfte), die von Politi-
kerInnen verantwortet sind und die nun den Entscheidungsspielraum einschrän-
ken, bewusst nicht thematisiert.
Der/die MitarbeiterIn der Verwaltung verkörpert in der Situation die Position des
unparteiischen Zuschauers („impartial spectator“ nach John Smith (Boltanski,
Thévenot, 2014: S. 87)). Als solcher ist die Person um Ausgleich der Informati-
onen bemüht, um eine Kommunikation zwischen Politik und Kulturszene zu er-
möglichen, greift aber nicht direkt ein. Die Kulturverwaltung steht zwischen ei-
ner normativen Verpflichtung gegenüber dem Kulturbereich (Ansprechpartnerin
für die Fördernehmer) und gegenüber dem politischen Referenten (dienstliche
Loyalität, Weisungsgebundenheit, Konsequenzen einer dienstrechtlichen Verfeh-
lung (Republik Österreich, 1979: Abs. § 43)), Verpflichtungen, die sie vereinba-
ren bzw. ausbalancieren muss. In der analysierten Passage werden Schnelligkeit
und Automatismus der politischen Entscheidungsfindung als bewusst erzeugte
Herrschaftsinstrumente deutlich. Demgegenüber wird die Kulturentwicklungs-
planung als langfristiges Verfahren unter fairen Bedingungen der Beteiligung
dargestellt. Die Verwaltung war an der Umsetzung der Kulturentwicklungspla-
nung als Projektleitung, Projektkoordination und Redaktion maßgeblich beteiligt
und ist somit, was die Beurteilung dieses Verfahrens angeht, nicht neutral.
Die Freie Szene ist ein hybrides Kollektiv, das immer wieder umgedeutet und in
unterschiedlichen Welten verortet wird und damit in seiner Bedeutung und Be-
wertung grundsätzlich umstritten ist. Handelt es sich um Subjekte der inspirier-
ten Welt, die ‚aufleuchtende‘ Szene der schöpferisch Tätigen? Oder als Freie,
Konkurrenten um Subjekte der Welt des Marktes? Oder, als Ehrenamtliche, um
Subjekte der staatsbürgerlichen Welt, die einen unbezahlten Dienst am Gemein-
wohl ausführen? Diese Mehrdeutigkeit zeigt sich auch in der Beziehung zwi-
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293