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(Boltanski, Thévenot, 2014: S. 398). Hannah Arendt spricht von der „außeror-
dentlichen politischen Freiheit, die im Anfangen-Können liegt“ (Arendt, 2003:
S. 49), mit der Spontaneität als zentralem Begriff. So hat das der Welt der Inspi-
ration zugehörige Prinzip der Kreativität auch eine wichtige Funktion für die po-
litische Mobilisierung. Protest manifestiert sich in kreativen Formen (Texten,
Liedern, Plakaten, Flash Mobs etc.). Ein Beispiel dafür ist der in Linz veranstal-
tete „Wurst vom Hund Ball“ als Persiflage und Protest gegen den traditionellen
Burschenschafterball und die Dominanz männlicher, weißer Machtbündnisse,
die sich 2015 in einer rein männlich besetzten oberösterreichischen Landesregie-
rung aus ÖVP und FPÖ manifestierten. Die Vereine Stadtwerkstatt, Backlab,
junQ.at, derMob, SOS-Menschenrechte Österreich und das Bündnis „Linz gegen
Rechts“ organisierten die Veranstaltung. Die Kultur- und Sozialvereine formie-
ren sich hier als eine Soziale Welt, in der Protest, Kritik und Gegenentwürfe zu
den politischen und sozialen Strukturen bzw. Verhältnissen ein Muster kollekti-
ver Verpflichtung bilden. Sie nehmen auf Ordnungsprinzipien der staatsbürgerli-
chen Welt Bezug und nehmen als zivilgesellschaftliche Vereine, die sich für eine
kollektive Protestaktion versammeln (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 262), eine
demokratiepolitische Funktion ein. Die Verflechtung zwischen Männerbünden
und politischer Macht („Kumpanei“ (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 339)) wird
so auf subversive und kreative Art enttarnt. Damit diese Kritik möglich ist, ist es
notwendig, dass kulturelle Vereine von den Sozialen Welten der Politik und der
Kulturverwaltung weitgehend unabhängig agieren können (auch, wenn über die
Vereinsgesetzgebung eine hoheitliche Kontrollfunktion besteht).
Chantal Mouffe weist mit der feministisch orientierten Politikwissenschaftle-
rin Carole Pateman darauf hin, dass Bürgerschaft („citizenship“) eine patriarcha-
le Kategorie ist, die in patriarchalen Machtstrukturen entwickelt wurde (Mouffe,
1993: S. 80). Vereine und zivilgesellschaftliche Netzwerke sind ebenfalls einem
Dilemma ausgesetzt zwischen einem patriarchalen Staat, der zivilen Protest
(ebenso wie Frauenrechte) integriert hat und damit ihre Existenz (und Förde-
rung) ermöglicht hat, und der Kritik an den weiterhin manifesten patriarchalen
Machtstrukturen dieses Staates.
Dazu kommt ein weiteres Dilemma: Kritik und Protest als nicht-institutiona-
lisierte Form der politischen Partizipation und Korrektiv aus demokratiepoliti-
scher Sicht wird in Zeiten, in denen eine marktliberale Logik Bereiche und Insti-
tutionen der Verwaltung, Politik und des öffentlichen Lebens insgesamt immer
stärker dominiert, immer notwendiger. Gleichzeitig sind freie Kulturorganisatio-
nen umso mehr gefordert, sich ehrenamtlich zu engagieren – da sie zunehmend
in die Prekarität gedrängt werden – was einerseits Protest hervorruft, andererseits
aber die Organisation von Protest angesichts knapper Ressourcen erschwert. Die
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293