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236 | Cultural Governance in Österreich
rogene AkteurInnen zusammenschließen (und dabei auch ein Konkurrenzver-
hältnis um Fördergelder oder etablierte privilegierte Kommunikationskanäle und
Beziehungen zu PolitikerInnen und Verwaltung überwinden bzw. hinten anstel-
len) um sich für eine gemeinsame Aktion zu versammeln und ihr Handeln somit
nach Prinzipien der staatsbürgerlichen Welt organisieren (Boltanski, Thévenot,
2014: S. 262). Kulturbetriebe in städtischem Eigentum solidarisieren sich ten-
denziell eher nicht mit den Forderungen der Freien Szene – zum einen, weil ver-
tragliche Bedingungen auch die handelnden Personen binden, zum anderen, weil
sie auch in Konkurrenzsituationen stehen bzw. ihrerseits bestehende Privilegien
nicht gefährden wollen (zumal ihre wirtschaftliche Situation teilweise auch an-
gespannt ist).
Wenn Kulturbetriebe öffentlich gefördert werden, wird einerseits ihre Position
im Gemeinwesen (res publica) gefestigt bzw. legitimiert. Andererseits werden
ihre Inhalte (etwa das Theater- oder Ausstellungsprogramm) nicht der öffentli-
chen Abstimmung durch das Publikum als mehrdeutiges Wesen zwischen der
staatsbürgerlichen Welt und der Welt der Meinung überlassen. Dabei ist die Be-
tonung der Freiheit der Kunst, die in Österreich seit 1982 auch in der Verfassung
verankert ist (Art. 17a StGG, (Zembylas, 2004: S. 156)) notwendig: Die Freiheit
der künstlerischen Spontaneität entspringt dem Einzelnen (der Künstlerin, dem
Künstler als Subjekte der inspirierten Welt (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 223)
und kann sich „selbst unter sehr ungünstigen Umständen immer noch vor dem
Zugriff einer Tyrannis retten“ (Arendt, 2003: S. 51). Dieses Spannungsverhältnis
zwischen der kollektiven Mehrheit und den Rechten von Minderheiten ist konsti-
tutiv für ein liberales demokratisches Gemeinwesen:
„Sofern eine politische Gemeinschaft einen positiven Umgang mit Andersheit anstrebt, ist
sie auch bereit, einzusehen, dass Differenzen und Auseinandersetzungen das gesellschaft-
liche Zusammenleben befruchten.“ (Zembylas, 2004: S. 159)
Veränderung (der der inspirierten Welt und der staatsbürgerlichen Welt gemein-
same Anspruch „alles in Frage zu stellen“ (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 398))
ist nur möglich, wenn – auch von Einzelnen, etwa künstlerischen Avantgarden –
etwas gewagt wird. Jedoch gilt es, nach dem Aufbruch MitstreiterInnen für das
Neue zu mobilisieren („die öffentliche Meinung zu mobilisieren“ als Kompro-
miss zwischen der Welt der Meinung und der staatsbürgerlichen Welt (Boltan-
ski, Thévenot, 2014: S. 424)). Das Publikum als mehrdeutiges Wesen bzw. un-
bestimmte Gruppe steht auch in einer geschäftlichen Beziehung zu Kulturbetrie-
ben (in der Welt des Marktes als KäuferInnen von Abonnements, Tickets). Hin-
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293