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34 K.(u.)k. »going postcolonial«
knüpfungssituation unterschiedliche Kontextualisierungsmöglichkeiten gegeben
sind, wie es etwa auch in der Polyphonie Istriens zu sehen ist (Strutz 1992 : 303).
Im spezifischen Feld der in und über Triest geschaffenen Literatur schlägt sich
diese Hybridität, diese Verknotung zahlreicher kultureller Transfers, in hetero
genen literarischen Modellen nieder : Die triestinische – und auch insgesamt
istrische – kulturelle Polyphonie bürstet gegen den Strich vereinheitlichender
weltliterarischer Universalität und liefert ausreichend Material für literarische
Experimente, in denen es zur Verknüpfung ästhetischer und ideologischer Ele
mente aus der Vielzahl unterschiedlicher Sprachen und Soziolekte kommt. Als
Beispiel dafür kann etwa der 1912 entstandene Roman Il mio Carso von Scipio
Slataper dienen, in dem die Berührung von Traditionslinien, die Verknüpfung
unterschiedlicher Diskurse und Kontexte als Konzepte der Hybridität erschei
nen, in denen kulturelle Differenzen nicht aufgelöst werden, sondern vielmehr
multiple Sichtweisen zum Tragen kommen, die zu einem permanenten diskur
siven Austausch zwischen Kulturen beitragen (vgl. dazu Wolf 2003b : 157) ; Gy
örgy Konrád behauptet nicht zu Unrecht, dass sich »Kakaniens größte Energie
[…] in seinem Gemischtsein« verbarg (Konrád 1989, zit. nach Strutz 1992 : 299).
In einer solchen Sicht von Kultur lassen sich keine dauerhaft angelegten
Kontextualisierungen festschreiben, sondern es kommt vielmehr das Fluide und
Polyphone zum Vorschein, das durch vielschichtige Prozesse ständige Grenzver
schiebungen bewirken kann. Die hier skizzierten dynamischen Bedeutungsver
änderungen und zuschreibungen manifestieren sich schließlich in kulturellen
Transfers, die nicht länger als eindimensionale, lineare Vorgänge zwischen Aus
gangs und Zielkultur angesehen werden können, sondern als Prozesse, die durch
ständig stattfindende Kontextwechsel charakterisiert sind. Trotz aller Hybridi
sierungen bzw. Verknotungen ist festzuhalten, dass nicht die Habsburgermo
narchie als Ganzes davon betroffen sein kann – abgesehen davon, dass dies nicht
historischen Fakten entspricht, würde es dadurch ja zu einer Substanzialisierung
des Hybriden kommen. Vereinzelte soziale Felder bzw. Bevölkerungsschichten
sind mehr, andere weniger oder kaum davon berührt, sodass die Substanz für
das Differente grundsätzlich erhalten bleibt, wenngleich diese Segmente auch
einem dynamischen Veränderungsprozess unterschiedlicher Geschwindigkeiten
ausgesetzt sind. Die vorliegenden Betrachtungen konzentrieren sich auf jene
Sphären, wo »Übersetzungsprozesse« im weitesten Sinn stattfinden, also vor
rangig dort, wo migratorische oder sozial konstruierte Verdichtungen erfolgen
(die dementsprechende kulturelle Produkte erzeugen), während viele territoriale
und soziale Räume davon relativ unberührt bleiben, andere in Grauzonen oder
Übergangszonen zu verorten sind.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437