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Neuntes Kapitel
Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
Das Ausleuchten des Entstehungskontextes deutschsprachiger Übersetzungen
aus dem Italienischen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erfordert als Schablone
einige Anmerkungen zu den geistesgeschichtlichen Konstellationen dieser Zeit
und ihrer Anknüpfung an die historischen Kontakte zwischen »Italien« und
»Österreich«. Erst vor diesem Hintergrund kann es möglich sein, die wechsel
seitigen Beziehungen als Ausgangspunkt für die Reflexion der translatorischen
Produktions und Rezeptionsprozesse in den Blick zu nehmen.
»Geist und Gesellschaft« im Österreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun
derts und vor allem der Jahrhundertwende wurde in der Literatur – vor allem
mit dem Schwerpunkt Wien – oftmals abgehandelt. Die Betrachtungsweisen
wechselten je nach dem zum jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Be
schreibungs bzw. Begriffsinstrumentarium und reflektierten die Kategorien, in
denen gedacht wurde, um die komplexe kulturelle, politische und mentale Ge
mengelage dieses geopolitischen Raumes zu beschreiben. Zu einer ersten Topos
bildung trug wesentlich Claudio Magris’ Der habsburgische Mythos bei. Der Autor
postuliert darin eine rückwärtsgewandte Utopie, indem er die Intellektuellen das
untergegangene Reich als »glückliche und harmonische Zeit, als geordnetes und
märchenhaftes Mitteleuropa« (Magris 2000/1966 : 19) empfinden lässt und des
Weiteren in der »kulturelle[n] Kolonisation Osteuropas« eine Errungenschaft
der Monarchie mit der Begründung sieht, dass ohne sie »Dichter wie Rilke und
Kafka nicht zur deutschen Literatur zählen könnten (ibid.: 26). Magris distan
zierte sich im Vorwort der Neuauflage seines Buches von diesen Mythisierungen
der k. u. k. Monarchie und räumt ein : »Der habsburgische Mythos ist vor allem die
Geschichte einer Ordnungsliebe, und er rührt andeutungsweise, vielleicht allzu
zurückhaltend, an den Saum der Entdeckung der Unordnung« (ibid.: 10).
Enger auf die Metropole Wien bezogen sieht Carl E. Schorske in seiner
Studie Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle (Schorske 1997/1982), die
ebenso Klassikerstatus erreicht hat, die Blüte der Wiener Kultur um die Jahr
hundertwende als Ausdruck der in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts
einsetzenden Krise des Liberalismus und des Bürgertums. Schorske verortet die
Folie für die Entfaltung der Wiener Moderne im Spannungsfeld zwischen dem
kreativen Potenzial der Wiener Moderne und der katholisch konservativ ge
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437