Page - 142 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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142 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
arbeit vor dem Pražákschen Erlass zum Großteil von »haus«eigenen, zumeist
nicht für diese Arbeit qualifizierten Beamten erledigt wurde, führte – wie auch
in zahlreichen anderen Fällen – wiederholt zu Rechtsirrtümern. Pražáks Aus
spruch anlässlich einer Debatte im Herrenhaus des Reichsrates im Jahre 1887,
»ein Volk«, mit dem man »in dessen Heimatland nur durch einen Dolmetsch
spricht«, würde wie ein Volk »zweiten oder dritten Ranges« behandelt (Stourzh
1980 : 1118f.), mag zweifelsohne im Hinblick auf die Frage der Gleichberech
tigung der Völker der Monarchie richtig sein, spiegelt jedoch gleichzeitig die
tendenziell auf Segregation statt auf Kommunikation zwischen diesen Völkern
abzielende Sprachpolitik der Monarchie wider – vom hier propagierten Status
von Dolmetschern ganz zu schweigen.
In der Praxis des Übersetzens und Dolmetschens bei Gericht spiegeln sich
vielfache auf Nationalitätenkonflikten beruhende Divergenzen wider – zumin
dest, wenn es sich um Translation zwischen den in der Habsburgermonarchie
praktizierten Sprachen handelte. Wie auch in den bereits aufgezeigten Kon
takten zwischen Behörden und Parteien fanden hier durch die vielfachen kul
turellen Begegnungen komplexe Transferprozesse statt, die zwar vordergründig
durch die diesen Kontakten zugrunde liegenden juridischen Rahmenbedingun
gen geregelt waren, jedoch noch weite Spielräume zum »Verhandeln« ließen
– ein Faktor, der der Tätigkeit vor Gericht (zumindest im Dolmetschbereich)
zwar eingeschrieben ist, doch vom Dolmetscher eingefordert werden muss. Es
wäre daher einer Beurteilung der jeweiligen Dolmetschsituation vorbehalten,
den Grad der Konstruiertheit festzustellen, die durch das Dolmetschen vor Ge
richt in seinen von stark asymmetrischen Beziehungen geprägten Ausformun
gen das kulturelle Gepräge der Habsburgermonarchie erfasste.
Die Übersetzung von Gesetzestexten
Gesetzestexte stellen in einem multiethnischen Gefüge wie die Habsburgermo
narchie ein weiteres umfangreiches Arbeitsgebiet für Übersetzer dar. So hatte
bereits das Hofdekret vom 22. Februar 1787 angeordnet, dass die in Wien er
lassenen Patente und Dekrete in die Landessprachen zu übersetzen und zwei
spaltig – links in der Landessprache, rechts deutsch – zu drucken seien. Für
Böhmen gab es eine solche Bestimmung schon drei Jahre davor. Zum Zwecke
der Übersetzung dieser Texte wurden »Gubernialtranslatoren« eingesetzt, wie
etwa 1782 für Mähren der Gubernialsekretär Martin Wenzel Schostal Edler
von Pflichtentreu, für Böhmen 1784 hauptberuflich der Gubernialregistrator
Franz Čapek ; zuvor war diese Tätigkeit nur nebenberuflich ausgeübt worden
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437