Page - 103 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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»Polykulturelle Kommunikation« 103
»Institutionalisiertes Übersetzen«
Das »institutionalisierte Übersetzen«, das grundsätzlich im Zuge eines auf ge
setzlicher Basis ablaufenden, differenzierten Umgangs mit der Sprachenvielfalt
der Monarchie ausgeübt wurde, betrifft vorrangig die Bereiche Schule, Heer und
BeamtInnen91 – also Aktionsfelder, in denen den Anforderungen des multieth
nischen Staates in institutionalisierter Form begegnet wurde. Es wird zu prü
fen sein, wie hoch der Grad der Institutionalisierung im Übersetzungsbereich
lag, an dem letztlich abzulesen ist, wie es um den Stellenwert der übersetzeri
schen Tätigkeit in diesen elementaren Aktionsfeldern der Monarchie bestellt
war. Die kulturellen Formationen, in denen die Kulturpraxis des Übersetzens
abläuft, sind, wie gezeigt wurde, in nationale und ethnische Identitätszuschrei
bungen und konstruktionen eingebunden, die die heterogene Beschaffenheit
des plurikulturellen Kommunikationsraumes der Monarchie in entscheidendem
Maß mitbestimmen und das Ergebnis von konkreten Aushandlungsprozessen
sind. Diese Aushandlungsprozesse laufen zumeist auf direkte Art über die Tä
tigkeit der Translation – hier als Übersetzen und Dolmetschen begriffen – und
sind je nach den Rahmenbedingungen, unter denen sie stattfinden, von mehr
oder weniger stark ausgeprägten hegemonialen Verhältnissen gekennzeichnet.
Viele der involvierten Akteure (und in geringerem Maß Akteurinnen) sind in
ihrer kulturellen Verflechtung nicht auf nationale Verweisungszusammenhänge
wie Sprache oder auch konfessionelle Zugehörigkeit reduzierbar, wie auch Ulf
Brunnbauer im Kontext der Identitätenfrage im südöstlichen Europa ausführt :
Ethnische und nationale Identitäten sind nicht auf primordielle Eigenschaften wie
Sprache, Religion und Abstammung zurückzuführen, sondern müssen »gemacht«
und »produziert« werden […]. (Brunnbauer 2002 : 14)
91 Frauen nahmen in der Verwaltung nie gehobene Positionen ein, sondern waren hauptsächlich in un
teren Bürotätigkeiten als Stenotypistinnen, Telefonistinnen bzw. bei der Bahn oder Post beschäftigt
(zu weiteren Berufsoptionen für Frauen im Staatsdienst siehe Scherer (1900) und Moll/Pivl (1903)).
Sie waren zumeist als »Hilfsbeamtinnen« eingestuft und blieben für gewöhnlich von Vorrückungen
in höhere Dienstklassen fast vollkommen ausgeschlossen ; zudem verdienten sie im Vergleich zu ih
ren männlichen Kollegen einen Bruchteil. Für verheiratete Frauen galt im Staatsdienst Berufsverbot.
Vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen sich Frauen in wachsender Zahl in weiblichen
Berufsverbänden zu organisieren ; vgl. etwa den »Zentralverein der staatlichen Vertragsbeamtinnen«
(Appelt 1985 : 51ff.) oder den von der Frauenrechtlerin Helene Littmann (1866 ?) im Jahr 1896
gegründeten »Österreichischen Hilfsverein für Beamtinnen« (Ariadne 2004). Zur Frauenarbeit im
Staatsdienst vgl. Huch (2006) und Heindl (2010), inkl. weiterführende Literatur in beiden Werken.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437