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Der Versuch einer Übersetzungstypologie 55
licher Differenziertheit wirkten und die Ausformung vielschichtiger kultureller
Codes begünstigten. Diese Codes wurden von der Vielzahl der BewohnerInnen
der Monarchie als solche identifiziert und »decodiert«, was sich nicht zuletzt
im Phänomen der Mehrsprachigkeit niederschlug. Gerade die von Csáky als
Decodierung bezeichneten Vorgänge erhalten durch ihren offensichtlich grund
legenden Charakter als mediale Handlungen eine kommunikationsbezogene
Qualität, die für das – wie immer geartete – Funktionieren des Vielvölkerstaates
merkmalhaft war. Diese kontinuierlichen Decodierungsprozesse können somit
durchaus in Anknüpfung an obige Ausführungen als Übersetzungsprozesse im
weitesten Sinn bezeichnet werden. Der permanente Kontextwechsel, der wie
bereits erwähnt für viele BewohnerInnen Alltagspraxis war, ist dafür beispiel
gebend. Dieses »endogene Pluralitätskonzept« bildet die Grundlage für die
Ausformung von Übersetzungstypen, die für die Vermittlung von kulturellen
Elementen innerhalb der Habsburgermonarchie beispielgebend sind. Sie sollen
hier als »polykulturelle Kommunikation« bzw. »polykulturelle Translation« be
zeichnet werden. Wird Translation – wie oben diskutiert – als Transferleistung
gesehen, so kann mit Celestini davon ausgegangen werden, dass der Unterschied
zwischen Kommunikation und Transfer bzw. Translation vorrangig darin be
steht, dass Transferprozesse zumeist Elemente betreffen, die in ihren ursprüng
lichen Kontexten nicht dazu bestimmt waren, transferiert zu werden und dies
nicht aus eigenem Antrieb tun würden. Aus diesem Grund benötigen sie eine
Vermittlungsinstanz, damit ein Transfer/eine Translation zwischen Kulturen
stattfinden kann – ein Umstand, der bei einem Kommunikationsakt nicht er
forderlich ist, da zu kommunizierende Aussagen, Texte oder andere Botschaften
im Hinblick auf Rezipientinnen und Rezipienten produziert werden (Celestini
2003 : 46). Gerade dieses Moment der »Mittelbarkeit« wird ja auch von Prunč
als wichtigstes definitorisches Merkmal für die Zuordnung zum Objektbereich
Translationswissenschaft vorgeschlagen und als bedeutendes Kriterium für seine
Ausdifferenzierung erachtet (Prunč 2004 : 280).
Auf die Bezeichnung »polykulturell« wird hier aus pragmatischen Gründen
zurückgegriffen. Der wichtigste Grund für seine Verwendung liegt in seiner Ab
grenzung zu anderen, ähnlichen Termini, die für kulturelle Konstellationen bzw.
kulturelle Austauschbeziehungen bereits vielfach Anwendung gefunden haben
und oftmals inflationär undifferenziert verwendet werden. Zunächst sei auf den
Ausdruck »multikulturell« verwiesen, der das Zusammenleben verschiedener
Kulturen innerhalb bestimmter Gesellschaft aufgreift und in medial transpor
tierten Migrations und Globalisierungsdebatten häufig eingesetzt wird. Die
dem Konzept der Multikulturalität innewohnende Problematik ist am deut
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437