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122 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
tete, wenn sie gezwungen sei, slowenische Eingaben anzunehmen, müsse sie
einen Dolmetscher anstellen oder zumindest von einigen der Konzeptbeam
ten die Kenntnis des Slowenischen in Wort und Schrift verlangen. Aus diesem
Grund »hat [die Stadtgemeinde] ein berechtigtes und großes Interesse daran,
daß diesem ersten Versuche, den slovenischen Zankapfel in die Stadt zu werfen,
auf das Entschiedenste entgegengetreten werde«. Das Innenministerium ging
in seiner Entscheidung davon aus, dass die slowenische Sprache in Kärnten im
Allgemeinen und in Klagenfurt im Besonderen eine landesübliche sei, nach
dem 3,5 % der einheimischen Bevölkerung von Klagenfurt sich dieser Sprache
als Umgangssprache bedienten. Die Stadtgemeinde von Klagenfurt war jedoch
über die Sprachkenntnisse und die Sprachpraxis ihrer EinwohnerInnen völlig
anderer Ansicht und behauptete, »daß in Klagenfurt nicht bloß in öffentlichen,
sondern auch in privaten, ja sogar im Familien
Verbande nur die deutsche Spra
che als Umgangssprache benützt wird«. Sie ging sogar so weit zu behaupten,
dass niemand in Kärnten Slowenisch spreche, »nur Einwanderer aus Unterstei
ermark und Krain versuchen sich in derselben, werden aber von ihren eigenen
Connationalen weder verstanden noch geachtet«. Ein interessantes Detail dieses
Aktes sind die Glossen, die mit Bleistift über den Akt verstreut offensichtlich
von dem/den mit dem Fall befassten Beamten angemerkt wurden,120 wie etwa
neben der von der Stadtgemeinde Klagenfurt formulierten Passage »[Wenn der
Eingabe in slowenischer Sprache stattgegeben würde] würde einer Agitation die
Thüre geöffnet, durch welche nationale Hetzboten der Nachbarländer […] end
lose Streitigkeiten ins Land tragen würden«. Ein Beamter hatte dort in zarten
Buchstaben vermerkt : »das gerade Gegentheil« (AVA, 3, Karton 327, Zl. 25881/
90).121
Aus einem Erlass des k.k. Ministeriums des Inneren vom 6. März 1907 an
die k.k. Statthalterei in Graz geht hervor, dass dem Gemeindevorsteher von
Globoko im Bezirk Rann (= Brežice an der Save) in der Untersteiermark nicht
Recht gegeben wurde, als dieser gegen eine in deutscher Sprache vorgebrachte
Eingabe Beschwerde einlegte. Die Begründung des Erlasses lautete, dass trotz
des Beschlusses des Gemeindeausschusses, sich lediglich einer der landesübli
chen Sprachen zu bedienen, der Artikel 19 zum Tragen komme, weil »im politi
120 Bis 1914 ist die Person des Verfassers von Schriftstücken (und damit auch derartiger Vermerke)
nur durch die Bestimmung der Handschriften zu ermitteln. Zuweilen wurde ein und dasselbe
Konzept von mehreren Händen korrigiert und auch die Bearbeitung von mehreren Konzipisten
besorgt (vgl. Wiedermayer 1931 : 139).
121 Vgl. zum vorliegenden Fall auch Stourzh (1980 : 1086).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437