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»Polykulturelle Translation« 127
ßig überwältigenden) restlichen Übersetzungen sind dem Bereich spekulativer
Vermutungen zuzuordnen. Neben bereits erwähnten unentgeltlichen Überset
zungen besonders größerer und kleinerer gesetzlicher Werke durch bemühte
Beamte ist es vor allem das im Ministerium des Innern angesiedelte Redak
tionsbureau des Reichsgesetzblattes (siehe unten), dessen Beamte immer wie
der darum gebeten bzw. in vielen Fällen damit beauftragt wurden, behördliche
Schriftstücke zu übersetzen. Den Beamten des Redaktionsbureaus des Reichs
gesetzblattes oblag per Gesetz die Übersetzung der anfallenden Gesetzestexte
zwecks deren Bekanntmachung im Reichsgesetzblatt in den Sprachen der Mon
archie und nicht die Übertragung von Schriftstücken aller erdenklichen Art, die
von den verschiedensten Behörden aus der gesamten Monarchie an das Minis
terium des Innern mit der Bitte um Übersetzung an sie übergeben wurden. Un
zählige Akten des Verwaltungsarchivs beinhalten solche Übersetzungsaufträge
an die Mitglieder des Redaktionsbureaus vor allem in den letzten 20 Jahren des
Bestehens der Monarchie. In den meisten Fällen werden die Übersetzungen
von den Beamten unentgeltlich angefertigt, manchmal gibt es eine geringe Be
zahlung.124 Gemeinden als autonome Verwaltungsbehörden hatten kein Recht
auf die Übersetzung fremdsprachiger Schriftstücke durch staatliche Behörden
und auf Staatskosten (vgl. AVA, 3, Karton 53, Zl. 9916/3/09). In den unzähli
gen Fällen, wo Schriftstücke »in den landesüblichen Sprachen« auszufertigen
waren, waren wohl emsige, unbezahlt oder unterbezahlt tätige Beamte aus dem
unmittelbaren Umfeld des Arbeitsauftrags am Werk. Dem Prestige der Über
setzungstätigkeit, die, wie bereits zu erkennen ist, das tagtägliche Funktionieren
des Vielvölkerstaates ermöglichte, war das freilich nicht zuträglich.
Den hier angeführten vielfachen Kontakten zwischen Verwaltungsbehörden
und Parteien ist ein enormes Konfliktpotenzial eingeschrieben, das die Tätig
keit des Übersetzens und Dolmetschens in einem brisanten Licht erscheinen
lässt. In der Auseinandersetzung zwischen BürgerInnen und Beamten fanden
fortdauernde Zuschreibungen und Abgrenzungen statt, die Missverstehen her
vorbrachten und ein Aushandeln dringend erforderlich machten. Die in den
hier diskutierten Akten ersichtliche stete Forderung nach dem Einsatz von
124 Vgl. etwa AVA, 3, Karton 51, Zl. 52369/98 für eine Übersetzung aus dem Ruthenischen ins
Deutsche auf Bitte der Landesregierung Troppau ; der Sekretär der Landesregierung von Czer
nowitz bekommt 1904 für die Übersetzung eines rumänischen Totenscheins die Summe von
acht Kronen, vgl. AVA, 3, Karton 51, Zl. 42314/04 ; auch die Übersetzung eines Schriftstückes
aus dem Serbischen ins Deutsche auf Anfrage der Innsbrucker Statthalterei wurde geringfügig
bezahlt, vgl. AVA, 3, Karton 51, Zl. 25224/04.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437